Der Überlebende: Roman (German Edition)
waren die Agenten dieser Transformation. Aber in was würden wir verwandelt werden?
Als ich die Kamera, das Mikrophon und den Sender in den altmodischen Röhrenfernseher an der Wand gegenüber von deinem Bett eingebaut hatte, war ich nicht mehr allein. Du warst bei mir. Du schliefst viel mehr und viel ruhiger, als ich gedacht hatte. Deine Atemzüge klangen gesund, fast stählern. Ich atmete synchron mit dir, und es war ein Gefühl, als ob wir uns beide bis zum Horizont erstrecken würden, den du von deinem Zimmer aus nicht sehen konntest. Um uns wortlos mit ihm zu vermischen, die Vergangenheit bereitwillig drangebend, gelassen auf die Zukunft verzichtend zugunsten einer niemals endenden wunschlosen Gegenwart.
Einmal hatte ich einen Traum. Du warst ein Kind. Du kamst aus einem Fluss inmitten einer verdorrten südlichen Landschaft und ranntest auf ein Dorf zu. Zerzauste Palmen spendeten heruntergekommenen Häusern Schatten, eine nicht beschnittene Zypresse bedrohte die Stromleitung, an deren Masten die Ansätze der Äste noch sichtbar waren. Als du dich nach mir umblicktest, wachte ich auf. Ich bin sicher, dass du es warst.
Mit deiner Erlaubnis hatte ich Peter schließlich doch alles über deine Krankheit erzählt. Peter brachte dir Wagner-Pralinen mit, du bedanktest dich, die Ärzte hätten dir Süßigkeiten verboten, du würdest sie verstecken. Du sagtest an diesem Tag, es gehe dir nicht gut.
Reglos lagst du im Bett. Trotzdem hatte ich das Gefühl, als ob du um etwas kreisen würdest. Als ob du unter Wasser wärst, in dem Fluss, von dem ich geträumt hatte.
Du batest Peter, er solle dir etwas Nettes erzählen. Nach einer langen Pause berichtete er stockend, dass er nächste Woche Urlaub habe. Ja, er mache tatsächlich eine Woche Urlaub auf Mallorca. Den Urlaub hatte er schon vor einem halben Jahr beantragt, ich hatte ihn genehmigt, aber völlig vergessen.
»Ich weiß, wie schwierig es für meinen Mann ist, und für dich, Peter, dass ihr das Roboterlabor nicht offiziell betreiben dürft. Ihr müsst es geheim halten. Haben diejenigen, die euch decken, genug Macht? – Was ist, wenn es auffliegt? – Könnt ihr euch schützen?«
Von einem Moment auf den anderen waren meine Augen ausgetrocknet. Mein Kopf wurde mir zu eng, der Puls dröhnte derart in meinen Ohren, dass ich kaum mehr verstand, was ihr sagtet, du und Peter.
»Was hat – er«, Peter traute sich nicht, meinen Namen auszusprechen, »dir erzählt?«
»Er hat nichts erzählt. Es gab Anrufe, ich habe E-Mails auf dem Bildschirm gesehen. Er will mich nicht belasten. Ich soll mich nicht aufregen.«
Am nächsten Tag besuchte ich dich zweimal. Erst fuhr ich in die Klinik und dann zum Flughafen, ein Tagestrip nach Brüssel. Am Morgen lagst du auf der Seite, du hattest den Mund weit offen und atmetest laut, als ob du keine Luft bekommen würdest. Deine Nase war spitz, dein Ohr lag am Kopf an und wirkte durchsichtig, als wäre es geschmolzen und verformt. Deine regelmäßig zuckenden Finger – an deinen Händen zeichneten sich alle Knochen ab – versuchten, deine kämpfenden Atemzüge zu unterstützen. Machtest du einen Krankheitsschub durch, oder hattest du es bisher vor mir verborgen, wenn es dir elend ging?
Nachdem ich mit Verspätung kurz vor Mitternacht wieder in Leipzig gelandet war, fuhr ich erneut ins Krankenhaus. An den Decken der Gänge brannte die Nachtbeleuchtung. Die farbigen Markierungen der Glastüren saugten das gesamte vorhandene Licht auf, für die Flure war keins mehr übrig. Wenn sich die Doppeltüren öffneten, erzeugten die Reflexionen der Deckenbeleuchtung in den Glasscheiben den Eindruck, als ob zwei schwachbeleuchtete Züge gleichzeitig in einen Tunnel einfahren oder aus ihm herauskommen würden, je nachdem, ob sich die Türflügel zum Betrachter hin oder von ihm weg bewegten.
In der Nacht hast du auf dem Rücken geschlafen, völlig ruhig, mit unangestrengten, kaum hörbaren Atemzügen. Den Kopf in einem riesigen bequemen Kissen, warst du mit dem einen Arm an eine Infusion angeschlossen, der andere war mit blutigen Pflastern beklebt.
Dein Zimmer ging auf einen quadratischen Innenhof hinaus, in dessen Mitte eine riesige Linde die Klinikgebäude überragte. Der Trakt war um den alten Baum herum errichtet, so wie unser Bungalow um unseren Baum herumgebaut ist. Bei uns ist der Baum Teil des Hauses, der Stamm wird auf halber Höhe von einer Glasscheibe eingefasst, aber der Hof des Klinikbaus war nicht überdacht. Bereits kurz
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