Der Überlebende: Roman (German Edition)
Zweck hatten wir ihre Greifglieder scharfkantiger gestaltet, damit sie sich zwischen die Platte und den Boden schieben konnten. Das war eine schmutzige Aufgabe: Um die plan auf dem Boden liegende Platte anzuheben, mussten etwa zehn S-bots mit dem unteren Teil ihres Greifglieds zwischen den Boden und die Platte gelangen. Im Fall der Eisenstange gelang es jedem S-bot, die Stange zu umfassen, jeder S-bot versuchte dann für sich, die Stange hochzuheben, waren es genügend viele, hatten sie Erfolg. Einem einzelnen S-bot konnte es jedoch niemals glücken, den unteren Teil des Greifwerkzeugs zwischen die Platte und den Boden zu bringen. Eine Chance bestand nur, wenn mehrere es gleichzeitig versuchten und sie von einer leichten Unebenheit des Bodens oder der Platte begünstigt wurden. Natürlich hätten wir den S-bots eine simultane Aktion einprogrammieren können. Aber wir wollten erreichen, dass sie sich in einem kollektiven Trial-and-error-Prozess abstimmten.
Peter wollte die Sensorenkonzeption ändern, ich war strikt dagegen, die Hardware der S-bots weiter umzubauen, mehr oder andere Sensoren zu verwenden. Ich betonte, unser Ziel sei gerade nicht, für jede Aufgabe eine Ad-hoc-Lösung zu finden, dann könnten wir auch gleich eine Liste erstellen und den S-bots die Lösung für jede Aufgabe fest einprogrammieren. Peter konterte, die Aufgaben, die wir den S-bots stellten, seien keine beliebig ausgedachten, sondern gewissermaßen logische. Wir schickten die S-bots in eine bestimmte Umwelt, wir sorgten dafür, dass sie sie verstünden und manipulierten. Die Aufgabenliste der S-bots, verbunden mit dem Imperativ der Abstimmung und Zusammenarbeit, sei die Conditio robotica. Wenn wir den S-bots durch mehr oder andere Sensoren das Leben leichter machen könnten, dann sollten wir das tun.
Die Reinigungsbrigade beendete die Diskussion. Wenn ich das Geräusch eines Staubsaugers höre, kann ich nicht mehr denken. Es klopfte, und die Tür öffnete sich, obwohl Peter laut nein gesagt hatte. Der Arbeiter schien neu zu sein, als er das Chaos in Peters Büro sah, blieb er mit offenem Mund reglos stehen.
Es gab kein Büro auf der Welt, das mit mehr Dingen vollgestopft war und das unordentlicher sein konnte als das von Peter. Mitarbeiter überlebten bei mir nur, wenn sie imstande waren, an ihrem Arbeitsplatz Ordnung zu halten. Dass Peters Büro so aussehen durfte, bezeichnete sein besonderes Verhältnis zu mir. Auch wenn er nicht mein Stellvertreter war, alle wussten, der Weg zu mir führte über Peter. Es blieb ein Rätsel, wie er an seinem Schreibtisch überhaupt arbeiten konnte. Sein Bildschirm und die Tastatur waren von antiken Transistorradios, von Magnetspulen- und Kassettengeräten und von historischen Kleinfernsehern umzingelt. Er hatte mir das Versprechen abgenommen, eines Tages würden wir den S-bots beibringen, die Geräte zu bedienen. Eventuelle Lücken in dem Belagerungsring um den Bildschirm wurden durch angebrochene Medikamentenpackungen gesichert. Die Tabletten gaben keinen Anlass zur Besorgnis, er probierte alle menschenmöglichen Darreichungsformen von Aspirin aus, der Rest waren andere Arten von Kopfschmerztabletten. Gegenüber dem Schreibtisch hatte er eine Pyramide aus roten und schwarzen Boxhandschuhen errichtet, in allen Ecken lagen Boxsäcke, das Fenster seines Büros konnte er nicht öffnen, weil es durch eine Boxbirne verstellt war. Er saß vor einem bis zu künstlerischer Unschärfe vergrößerten Schwarz-Weiß-Fernsehbild, das den legendären Auftritt des Boxers Norbert Grupe im ›Aktuellen Sportstudio‹ Ende der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts zeigte. Wegen eines vorangegangenen kritischen Beitrags über ihn hatte der Boxer mit dem Kampfnamen Prinz von Homburg vor den laufenden Kameras einfach nicht auf die Fragen des Moderators geantwortet.
Nachdem die Reinigungskolonne weitergezogen war, diskutierten wir, ob wir uns dem Peer-to-peer-Netzwerk ›Catch that Rabbit‹ anschließen sollten, über das Roboterentwickler auf der ganzen Welt Erkenntnisse austauschen. Alle melden Patente an, nicht nur die Firmen, auch die Universitäten. Man lässt andere einen Blick in die eigenen Karten werfen – natürlich bekommen sie nur das zu sehen, was sie sehen sollen –, um woanders etwas zu finden, das einem weiterhilft. Im Grunde genommen ist es eine Art Schachspiel. Es kam nicht in Frage, das Labor anzumelden, ein Strohmann hätte vorgeben müssen, in seinem Hobbykeller Roboter zu entwickeln. Peter
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