Der Überlebende: Roman (German Edition)
Büro, für das Labor fertigmacht: Ihr seht alles anders. – Ihr hört alles anders. – Alles fühlt sich anders an. – Du hast uns den Vorwurf gemacht: Ihr lebt eure Leben nicht wirklich. Wer es nicht schätzt, dass ihm seine Glieder gehorchen, der verdient nicht, dass sie es tun. Wer sein Leben nicht schätzt, der verdient nicht zu leben –
Du hast uns im Esszimmer allein gelassen, und es war, als hättest du uns eingesperrt, als wolltest du ein Spiel mit uns spielen. Du stelltest uns eine Aufgabe, und wenn wir sie nicht lösten, würden wir sterben, nicht bald, ganz schnell. Denn wir mussten für etwas büßen. Ich wusste wofür: für das Roboterlabor. Auch Peter und Eihi hatten kein reines Gewissen. Von der Verfehlung der Japanerin konnte ich mir keine Vorstellung machen, aber Peter – spähte er mich doch aus, zusammen mit Sondra, tarnten sie sich geschickt, bis sie alles aufgedeckt hatten, missbrauchte er mein Vertrauen, um mir dann – was genau heimzuzahlen? Dass ich Burgi gekündigt hatte? Warum half ihm Sondra dabei?
Reglos blieb ich sitzen, auch Peter stand nicht auf. Es war, als ob wir ein Nervengas einatmeten, das uns zuerst langsam lähmte und schließlich tötete. Wenn wir die Aufgabe, die wir nicht kannten, nicht rechtzeitig lösten. Das Nasenbluten der Japanerin war ein Vorbote.
Das Nasenbluten hörte nicht auf, Eihi war jetzt krebsrot im Gesicht, ihre Hände zitterten. Peter schlug vor, sie solle sich neben dem Tisch auf dem Boden ausstrecken. Sie legte sich mit dem Rücken auf das Parkett, die Beine zusammengepresst, mit der rechten Hand hielt sie weiter das Taschentuch vor die Nase, den linken Arm streckte sie aus, als ob sie auf mich zeigen wollte. Du hast ihr ein Handtuch unter den Nacken geschoben.
In diesem Augenblick meldete sich Peters Telefon, neben Eihis Kopf. Als er die Stühle weggerückt hatte, um Platz für sie zu schaffen, war seine Aktentasche umgefallen und das Telefon herausgeglitten. Zur Melodie von ›Pop! Goes the weasel‹ simulierten die den Bildschirm einrahmenden LEDs eine Bewegung im Uhrzeigersinn, was Eihi für einen Augenblick irritierte, das Telefon war ein japanisches Fabrikat. Peter rief laut: »Hallo Herr Taube!«, das war ein lästiger Controller. Ich war froh, wenn ich von ihnen verschont blieb und Peter ihre Fragen beantwortete. Hastig stand er auf und presste dabei das Telefon gegen seine Brust – damit ich nicht hören sollte, was der Anrufer sagte? Falls der etwas sagte. Auf dem Gang erläuterte Peter überlaut, er müsse sein Notebook aus dem Wagen holen, um die Fragen zum Investitionsbudget des Werks für das nächste Geschäftsjahr zu beantworten.
Als du wieder in das Esszimmer gekommen bist, erhob sich Eihi. Das blutige Taschentuch vor die Nase gepresst, wollte sie sich verbeugen, du hieltest sie zurück. Sie flüsterte, sie wolle uns nicht länger zur Last fallen und bitte darum, sofort gehen zu dürfen. Ob du ihr nicht ein Taxi rufen könntest. Du sagtest, das komme gar nicht in Frage, sie solle sich entspannen und warten, bis Peter zurückkomme. Eihi führte ein neues Taschentuch erst zur Nase und hielt es dann vor sich, das Nasenbluten hatte aufgehört.
Peter sah mich nicht gleich. Ich hatte eine neue Weinflasche geholt und war, ohne dass ich einen Grund dafür angeben könnte, in den unbeleuchteten Aufenthaltsraum gegangen. Ich mag keine bequemen Stühle bei der Arbeit. An meinem Schreibtisch hatte ich lange einen dreibeinigen Hocker benutzt, die hölzerne Sitzfläche über den verrosteten Metallbeinen war entzweigebrochen, unmittelbar vor dem Essen hatte ich noch bei einem Möbelgeschäft vorbeigesehen, aus Sicherheitsgründen gibt es keine dreibeinigen Hocker mehr, ich musste einen vierbeinigen nehmen. Die auseinanderstrebenden Beine waren in der Mitte unter der kreisförmigen Sitzfläche befestigt, auf halber Höhe umschlossen sie eine zweite, schwarze Holzplatte, dort konnte man sich mit den Füßen abstützen. Ich hatte den neuen Hocker noch gar nicht eingeweiht. Gebückt, mit nach vorn gestreckten Armen, umkreiste Peter den Hocker wie ein Raubtier seine Beute. Ein Fahrzeug wendete auf der Straße und leuchtete den Raum hell aus. Peters Gesicht war von einem Schweißfilm überzogen, seine Stirn, seine Wangen und auch seine Hände glänzten im grellen Scheinwerferlicht. Auf dem dunklen Schirm meines PCs erzeugten die Lichtstrahlen Muster wie diejenigen, die sich ergeben, wenn die Stoßwelle einer Supernova auf eine Gaswolke
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