Der Überlebende: Roman (German Edition)
ätzend, aber dafür habe ich Phantasie! Ich würde mich umbringen, wenn ich so phantasielos wäre wie Sie! Ihnen wird nie irgendetwas einfallen!«
Ich sagte, sie verhalte sich respektlos, wenn sie sich weiterhin so benehme, dann werde sie bei D’Wolf nichts mehr werden. Wie aus der Pistole geschossen gab sie zurück, ob mir klar sei, dass sie mich verklagen könne.
Sie sagte: »Wäre ich ein Mann, könnte ich meine Meinung sagen, und keiner würde sich erlauben, mir so plump zu drohen.«
Die Autobahn war gesperrt, wir wurden auf eine Landstraße umgeleitet. Das Navigationssystem schlug vor, für den Rest der Fahrt auf der Landstraße zu bleiben. Zwar neu geteert, war die Straße schmal und kurvig, ohne Bankett. Die unmittelbar neben der Straße hochwachsenden Bäume beugten sich über uns, man hatte das Gefühl, durch einen Tunnel zu fahren. Immer wieder führte die Straße über im Dämmerlicht liegende Brücken, die kleine Gewässer überwanden, und jedes Mal näherten wir uns hoffnungsvoll dem Ende des Tunnels, aber der Sternenhimmel beschien uns nur kurz, ehe uns der nächste Tunnel verschluckte.
Mein Blick war zu lange auf dem Bildschirm des Navigationssystems verweilt, ständig prüfte ich, wie viele Kilometer es noch bis nach Hause waren, wie lange wir noch brauchen würden. Peter schrie auf, mitten auf der Straße stand ein Mädchen oder eine junge Frau in einem weißen Kleid. Es war gar nicht daran zu denken, zu bremsen, im letzten Moment konnte ich ausweichen. Ich schaffte es, auf der Fahrbahn zu bleiben, wären die Räder auf die Grasnarbe gekommen, das Fahrzeug wäre ins Schleudern geraten und gegen einen Baum geprallt.
Im Rückspiegel konnte ich erkennen, dass uns das Mädchen nachblickte. Es gehörte zu einem Camper, der in einer Wegeinmündung parkte, ein Holzstapel hatte uns die Sicht versperrt. Das Mädchen blieb auf der Straße stehen, bis es aus meinem Blickfeld geriet.
Greta hatte eine Narbe in der Form eines auf den Kopf gestellten Ypsilons auf der rechten Backe. Du warst mit ihr auf den Spielplatz gegangen, Maren, während du dich mit einer anderen Mutter unterhieltest, war Greta weggelaufen.
Du suchtest die Umgebung ab und fandest sie auf einem Trümmergrundstück, sie war durch ein Loch im Zaun eingedrungen. Du riefst sie zurück, aber sie wollte nicht gehorchen und kletterte an der anderen Seite über den stacheldrahtbewehrten Zaun. Dabei blieb sie hängen und schlitzte sich die Backe auf.
Ich wusste nicht mehr, wie Greta aussah. Ihr Bild war weg. Alle ihre Bilder. Als Baby, als Kleinkind, als Mädchen, als junge Frau. Verzweifelt bemühte ich mich, Gretas Gesicht vor meinem inneren Auge heraufzubeschwören, aber es gelang mir nicht. Ich sah immer nur die Narbe, das umgekehrte Y auf ihrer weißen Haut.
Drei Jahre nach der Fusion von D’Wolf Japan mit Toji waren der Umsatz von D’Wolf Japan um sieben und der Ebit um zehn Prozentpunkte gefallen.
Ein schwarzer Leichenwagen mit einem Holzaufbau, dessen geschwungenes, goldverziertes Dach sich bis weit über die Kühlerhaube erstreckte, fuhr rückwärts an das Krematorium heran. Vier Männer in dunkelblauen Anzügen schoben den stoffverkleideten Sarg auf einem Rollwagen mit dünnen Füßen in die offene Halle hinein. Zwei Männer in schwarzen Anzügen öffneten die Türflügel in der Klinkerwand der Halle, das steinverkleidete Innere eines Ofens wurde sichtbar. Auf einem Schrein neben der Tür brannte eine Kerze vor einer Farbfotografie des CEO von D’Wolf Japan mit einem schwarzen Band über der rechten oberen und der linken unteren Ecke.
Ein Shinto-Priester in einem beigefarbenen Umhang und Hunderte von Trauergästen verfolgten, wie die Männer in den blauen Anzügen den Sarg in die Öffnung schoben. Als die zwei Männer in den schwarzen Anzügen die Türen schlossen, neigte die gesamte Trauergemeinde stumm die Köpfe.
Die beiden Männer schoben den Schrein, der Rollen besaß, vor die Tür, er ähnelte dem mit Stoff verkleideten Holzgehäuse eines alten Lautsprechers. Außer der Kerze leisteten noch eine grüne Keramikschale, ein Obelisk aus Holz und ein kleines Kästchen, eine Lackarbeit, dem Foto des CEO Gesellschaft. Das schwarze Trauerband um das Foto hatte einen weißen Streifen in der Mitte.
Peter erzählte, er habe einmal einem Begräbnis in Japan beigewohnt. Man hatte die Türen des Ofens nicht richtig verriegelt, eine sei genau in dem Moment aufgegangen, als sich der Stoff um den Sarg entzündet habe. Der Luftzug
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