Der Überraschungsmann
sehen meine trüben Abiturientenaugen?« Emil kam in wilden Sprüngen über den Rasen galoppiert und schmatzte Lisa einen Kuss auf die Wange. Lisa wurde rot vor Freude. »Da ist sie ja wieder, die schönste Frau Europas!«
»Na, siehst du!«, sagte ich lachend. »Alle freuen sich über deine Anwesenheit.«
»Fast alle.« Lisa wies mit dem Kopf zu Nathan hinüber, der uns keines Blickes würdigte.
»Sag mal, bist du wieder so weit hergestellt, dass ich dich zu einer Partie Tischtennis überreden kann?« Emil sprang auf und zog Lisa mit hoch. »Los, Nachbarin. Ein bisschen Schwangerschaftsgymnastik kann deiner Figur nicht schaden!«
Ich liebte Emil für seine Frische und Fröhlichkeit. Er kam so sehr nach Volker! Erleichtert verzog ich mich zum Kartoffelschälen ins Haus. Das Klacken des Tischtennisballs leistete mir bei meiner Küchenarbeit Gesellschaft. Ich hörte Emil wiehernd lachen und Lisa fröhlich kichern und quietschen, als die beiden sich mit coolen Sprüchen »von der Platte putzten«. Na bitte! Schon ging es meiner kleinen Lisa besser. Sie brauchte einfach Leben um sich herum! Dann hatte sie gar keine Zeit mehr für trübe oder dumme Gedanken! Ich setzte die Kartoffeln auf und begann das Gemüse zu putzen. Für Lisa musste es jetzt besonders frische Kost sein.
Gerade spielten sie mit den Mädchen »Rundlauf«. Sie rannten barfuß oder in ihren unvermeidlichen Flipflops vor meinem Küchenfenster im Kreis herum. Emil steckte wieder in seinen Bossunterhosen und hatte seine rotlockige Haarpracht unter seiner Rastamütze verbannt. Lisa hatte sich ein weißes Tuch um die Hüften gebunden, passend zu ihrem weißen Bikini, der ihr bronzefarbenes Bäuchlein perfekt zur Geltung brachte. So sahen also Schwangere heutzutage aus!
»Hach! Renn doch, du Schnecke!«
»Ich war dran, gib her, du Eierloch!«
»Mein Ball!«
»Du gehörst auf die andere Seite – wann kapierst du das endlich, du Baby!«
»Los! Den kannst du aus der Hecke holen!«
»ICH bin schwanger. Ich kann mich nicht mehr bücken.«
»Doch! Kannst du wohl! Du bist nur zu faul!«
»Pass auf, du Frechdachs! Ein bisschen mehr Respekt vor einer werdenden Mutter!«
Als das Telefon klingelte, hörte ich: »Vorsicht, Oma-Alarm! Bestimmt will sie uns am Telefon wieder was vorsingen!«
»Höre ich Zigoooooinergooooooigen …«, zwitscherte Paulinchen, und Emil jaulte im Falsett.
»Schnauze!«, brüllte Nathan.
Vielstimmiges Gelächter folgte.
Ach, wie schön, dass Lisa wieder fröhlich war!
Es platschte, und ich sah, dass sie allesamt in den Schwimmteich gesprungen waren.
Einschließlich Lisa.
»Sie ist gut über ihre … Sache hinweggekommen.«
Ich stand in einem seidenen Nichts von Spitzennachthemd vor dem riesigen goldgerahmten Spiegel in unserem dunkelblau gekachelten Luxusbad und putzte mir die Zähne.
»Sie war einfach durch den Wind.«
Volker lag bereits auf dem Bett und zappte ziellos durchs Fernsehprogramm.
Sein knapper, fast herablassender Ton erschreckte mich.
»Du tust, als wäre das eine Bagatelle?!« Vorwurfsvoll zeigte ich mit meiner elektrischen Zahnbürste auf ihn. »Sie hätte sterben können!«
»Sie ist ein dummes junges Ding und hat uns wirklich in was mit reingerissen.«
Ich erstarrte. Volker war bei allem, was Lisa betraf, so erschreckend lieblos!
»Sag mal, was ist denn mit dir los? Magst du Lisa nicht?«
»Das steht doch überhaupt nicht zur Debatte.« Volker starrte auf den Fernseher.
»Aber du musst doch mitbekommen haben, wie sehr sie mir ans Herz gewachsen ist!«
»Ja. Hab ich schon mitgekriegt. Sie ist dir ja fast wichtiger als wir.«
»Volker, das stimmt nicht! Aber sie braucht mich jetzt! Sie hat doch niemanden!«
»Ich will mich nicht mit dir streiten«, sagte Volker und schaltete von einem Politmagazin zu einer Doku über den Kalten Krieg. »Komm ins Bett.«
Ich zögerte. Ich wollte ihm in die Augen sehen, aber er wich meinem Blick aus. Normalerweise wurde ich etwas netter ins Bett eingeladen.
»Warum hast du Lisa eigentlich eingeredet, Sven müsste von dieser Sache gar nichts wissen?«, bohrte ich nach. »Das war ja wohl ein Notfall!«
Das Fernsehbild zuckte erneut. Volker starrte auf eine Dauerwerbesendung, als hinge sein Leben davon ab. Eine dicke Mittsechzigerin pries die Vorteile leberwurstfarbener Miederhöschen. Ich wandte mich ab.
»Meinst du, der kann einfach so sein Schiff verlassen? Wie stellst du dir das vor?«
»Aber wie kannst du nur so unbeteiligt daherreden? Geht dir Lisa denn
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