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Der Überraschungsmann

Titel: Der Überraschungsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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winzige »Aquarium«, in dem das Baby lag. »Hast du dir schon einmal überlegt, dass er ein RECHT darauf hat, sein Kind zu sehen?«
    »Nein! Lass mich bloß damit in Ruhe«, fauchte Lisa. Die Heftigkeit, mit der sie das tat, erschreckte das Baby: Es zuckte zusammen, verzog sein Gesichtchen und wurde ganz dunkelrot, bevor es zu einem erzürnten Kreischen ansetzte. Ich blickte Lisa verwirrt an. Was war denn bloß in sie gefahren? Natürlich. Die Hormone! Meine GÜTE , wie taktlos von mir, sie gleich mit diesem heiklen Thema zu konfrontieren. »Entschuldige, Lisa«, sagte ich. »Das ist jetzt wirklich kein Thema.« Ich hob das winzige Würmchen aus dem Bett und wiegte es hin und her. Es schrie mich zahnlos an, dass sein Gaumensegel zitterte.
    »Gib her, vielleicht hat sie Hunger?«, sagte Lisa.
    Mit zitternden Fingern reichte ich ihr das Kind und schämte mich. Ich wollte die ersten Minuten mit ihrem Kind doch nicht durch dummes Gerede entweihen! Mit Grauen erinnerte ich mich daran, dass Leonore das bei mir und Charlotte auch getan hatte. Damals, als sie bei mir am Bett saß und mich mit meinem frischen Dammriss belehren wollte, wie das so geht mit dem Stillen. Wie unsensibel sie gewesen war. Und wie sehr ich sie in diesem Moment gehasst hatte! Und jetzt hielt ich Lisa gerade mal eine Stunde nach der Geburt eine Moralpredigt?
    Zu meinem Erstaunen griff Lisa ganz beherzt nach Kind und Brust. Das zahnlose Mündchen dockte ohne Umschweife bei ihr an, und Fanny fing sofort an zu saugen.
    »So macht man das!«, sagte Lisa forsch. Ihre Gesichtszüge entspannten sich.
    Ich erinnerte mich sofort wieder an das wunderbare Gefühl, zu stillen. Daran, wie sich das fordernde Babygeschrei in wohliges Glucksen verwandelte, die Zornesröte aus dem Gesichtchen wich und die Fäustchen sich nicht mehr wütend ballten, sondern zufrieden an der Mutterbrust festhielten. Vor lauter Rührung kamen mir die Tränen. »So ein Wunder«, stammelte ich und wischte mir schnell die Augen. »Ist das nicht ein unvorstellbares Wunder?«
    »Nö. Das ist ganz normal. Schon in der Steinzeit hat das so funktioniert. Was macht ihr bloß alle für ein Gewese darum? So, Kind, trink.«
    Lisa schien sich jede Gefühlswallung verbieten zu wollen.
    »Ich habe das tausendmal bei meiner Mutter gesehen! Die hat mit der einen Hand gestillt und mit der anderen gekocht oder gebügelt! Ist doch nix dabei!« Doch sie war noch nicht fertig. »Hör zu«, sagte sie plötzlich bestimmt. »Ich habe während der Schwangerschaft wirklich viel geweint. Ich wollte das Kind nicht, ich war total durch den Wind, ich wusste nicht, ob ich das alles schaffe. Volker hat mich wieder aufgebaut. Ich bin jetzt stabil und ziehe das durch. Kannst du also bitte diese ›Ich-bin-so-überwältigt‹-Arie lassen?« Sie legte den Kopf schief und schenkte mir ein verzerrtes Lächeln. »Sonst haut es mich wieder um. Dann mache ich Sachen, die ich nachher bereue. Oder sage Dinge, die … nicht gut sind. «
    »Natürlich«, stammelte ich schuldbewusst. »Verzeih mir. Manchmal bin ich einfach wahnsinnig blöd.«
    »Schwer von Begriff bist du«, brach es plötzlich aus Lisa hervor, und ich schreckte zurück.
    Gerade als ich fragen wollte, was sie damit sagen wollte, ging die Tür auf, und es kam ein riesiger Blumenstrauß herein. Volker. Uff. Zum Glück.
    Er stutzte und sah forschend von einer zur anderen. »Was ist los? Alles gut?«
    »Ja«, sagte ich und fiel ihm erleichtert um den Hals. »Alles gut.«

12
    W isst ihr was, Mädels?« Volker hatte inzwischen einen fantastischen Plan ausgeheckt.
    »Was haltet ihr davon, wenn wir das Fertighaus für die Jungen herrichten und Lisa mit Fanny zu uns rüberzieht?«
    Ich starrte meinen Volker fassungslos an. »Ist das dein Ernst?«
    Volker lachte. »Aber ja! Meine Söhne werden erwachsen. Die wollen lange pennen, laute Musik machen, Freunde einladen, Bier trinken und rauchen … Da brauchen sie ihre eigenen vier Wände.«
    Mir blieb der Mund offen stehen.
    Die Mädchen hüpften begeistert auf und ab und jubelten so laut, dass man sein eigenes Wort nicht mehr verstand.
    »Das hier ist doch ohnehin ein Weiberhaushalt«, sagte Volker und berührte zärtlich meinen Arm. »Meine Löwenmutter würde ja doch zwanzigmal am Tag rüberlaufen, um dort nach dem Rechten zu sehen. Da muss ich ja am Ende neuen Rasen einsäen!«
    »Aber warst du nicht derjenige, der kein Babygeschrei mehr hören wollte?«
    »Ob es nun dort drüben hinter der Hecke schreit oder hier, macht den

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