Der Überraschungsmann
einfach nicht fassen. Wieso interessierte sich der frischgebackene Vater so gar nicht für sein Kind? Waren Seeleute wirklich so hart im Nehmen? Womöglich hatte er längst mit anderen Frauen Kinder in die Welt gesetzt? Vielleicht hatte er in jedem Hafen eine andere Braut? Vielleicht war Sven so eine Art Jörg Kachelmann? Nein, der hatte meine Lisa wirklich nicht verdient! Wollte ich denn überhaupt noch, dass die beiden wieder zusammenkamen? Hatte ich mich insgeheim nicht wahnsinnig darauf gefreut, mit Lisa und Klein Fanny unter einem Dach zu leben? Was mischte ich mich da eigentlich ein?
In der Leitung knisterte es, und ich hörte englische Befehle.
»Ich komm jetzt hier nicht weg«, hörte ich Sven nur noch rufen. »Aber danke, dass du angerufen hast, Barbara. Ich melde mich … irgendwann.«
»Ja wie, irgendwann? Wenn Fanny in die Schule kommt, ihren Tanzstundenabschlussball hat oder wenn sie heiratet oder was?!«
Knack. Die Leitung war unterbrochen.
»Arschloch!«, murmelte ich fassungslos. Und diesen Sven hatte ich mal GEMOCHT !
Als ich Lisas Kinderwagen in der Auffahrt knirschen hörte und auch Volker plötzlich in der Einfahrt stand, verstaute ich schnell das Handy. Uff, das war knapp. Die beiden brauchten nichts von meinem Telefonat zu wissen.
Beneidenswert schnell kam Lisa wieder in Form. Jetzt im Frühling machte sie jeden Morgen auf der Terrasse Pilates, eine ganz neue Form der Rückbildungsgymnastik und sehr ästhetisch anzusehen. Volker hatte ihr seinen tragbaren Fernseher aus dem Arbeitszimmer gegeben, und auf dem spielte sie Tag für Tag ihr Pilates-Programm auf DVD ab. Kein Mensch hätte geglaubt, dass sie gerade erst ein Kind entbunden hatte. Während sie tapfer ihre Dehn- und Streckübungen machte, saß ich mit der süßen Fanny auf dem Schoß in der Hängematte, die Volker eigens für unseren kleinen Erdenbürger aufgehängt hatte, und sah ihr dabei zu. Im Vergleich zu Lisa fühlte ich mich in meiner Hängematte fast wirklich wie eine alte Oma. Unglücklich war ich trotzdem nicht: Das Baby lag satt und schlafend in meinen Armen. Ununterbrochen streichelte ich das arme Halbwaisenkind, das einen verantwortungslosen Seemann zum Vater hatte. Die ehemals pechschwarzen Härchen lichteten sich immer mehr, und blonder Flaum kam zum Vorschein. Jetzt sah sie Sven gleich viel ähnlicher! Es bildeten sich sogar kleine Löckchen, die ich stundenlang um meine Finger zwirbeln konnte. In meine eigenen Töchter war ich genauso verliebt gewesen, doch damals hatte ich auch unter dem Druck gestanden, alles richtig machen zu wollen und vor Volker nicht zu versagen. Diesmal konnte ich das neue Lebewesen einfach nur genießen. Wahrscheinlich war es dieses Großmuttersyndrom – da fehlten nur noch die Stricknadeln und ein grauer Dutt!
»Diese Ausdauer hätte ich nie!«, sagte ich seufzend. »Ich weiß noch, wie lange ich gebraucht habe, um wieder halbwegs in Form zu kommen.«
»In zwei Wochen muss ich im Figaro als Susanna auf der Bühne stehen.« Lisa wechselte die Position und verlagerte ihr Gewicht wie die Vorturnerin auf das andere Bein. »Ohne eine funktionierende Bauchmuskulatur kannst du das Singen einer so schweren Partie vergessen.«
»Ich weiß. Du bist toll, Lisa.«
»Das geht alles nur, weil du mir hilfst … MAMA .«
Ich zuckte zusammen. Das konnte ich unmöglich so im Raum stehen lassen! »Lisa, ich bin mit meinen dreiundvierzig gerade mal achtzehn Jahre älter als du! Ich sehe mich eher als deine große Schwester!«
»Meine Mama ist auch achtzehn Jahre älter als ich!«
Wieder dieses spitzbübische Lachen. Tja, wie sollte ich mich gegen ihren Charme wehren? Außerdem fühlte ich mich zugegebenermaßen äußerst wohl in meiner Rolle als »Gluckenmama«, die unverhofft noch ein Baby und eine tolle große »Tochter« dazubekommen hatte. Eine, mit der ich vernünftig reden konnte und auf die ich richtig stolz war. Fehlte eigentlich nur noch, dass sie zu Volker »Papa« sagte.
Aber das tat sie zum Glück nie.
Ansonsten waren wir wirklich die reinste Vorzeigefamilie aus dem Werbefernsehen. Unser Garten blühte und duftete, und eine Menge fröhlicher junger Menschen tummelte sich darin. Immer seltener trauerte ich meiner früheren Karriere hinterher: Meine Weltreisen und meine vier Fremdsprachen hingen an einem Nagel, direkt neben Leonores Operettenlaufbahn. Und meine Schwiegermutter ließ mich wissen, dass sie mit meiner »Aufopferung« und »Mutterrolle« hochzufrieden war. Natürlich würde
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