Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Überraschungsmann

Titel: Der Überraschungsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
Vom Netzwerk:
bemerkt. Die rote Handtasche war so gut wie mein.

16
    U nd wieder waren die Festspiele auf einmal vorbei. Die Touristenmassen hatten sich über Nacht in Luft aufgelöst. Waren gestern noch Tausende hinter ihren Stadtführern über den Makartsteg getrottet, konnte man heute wieder ungehindert mit dem Fahrrad darüberflitzen. Letzte Festspielbesucher waren am Vorabend noch zum Abschlusskonzert der Berliner Philharmoniker geeilt und trotz der kühlen Abendluft in gewagt luftigen Abendkleidern durch die engen Gassen geflattert wie letzte Zugvögel. Heute trugen die wenigen Menschen Jacken und Stiefel. Bei uns in den Vorgärten reckten sich Sonnen blumen und Astern der spärlichen Sonne entgegen. Es roch nach Rauch, die ersten Feuer wurden abends im Kamin gemacht. Es war die Zeit, in der man erstmals seine dicken Socken hervorholt. Meine Güte, was war in diesem einen Jahr alles passiert!
    Ich hatte die Mädchen erst Anfang September aus ihrem Ferienlager am Wolfgangsee abgeholt. Sie waren schlanker, erwachsener geworden und braun gebrannt. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich die letzten acht Wochen mit Lisa und Fanny verbracht hatte statt mit meinen eigenen Töchtern. Aber dann tröstete ich mich damit, dass Charlotte und Pauline mich nicht so dringend gebraucht hatten. Sie waren jetzt bei Gleichaltrigen viel besser aufgehoben. Charlotte erzählte mit leuchtenden Augen von ihren täglichen Ruderbootausfahrten, bei denen »ein ganz süßer Junge« mit dabei gewesen sei. Pauline hatte Tennisspielen gelernt, war geritten und hatte weite Wanderungen mit anderen Kindern unternommen. Ich hatte mich bei meinen beiden Besuchen an den sogenannten Elterntagen davon überzeugen können, dass die beiden so eine Art Hanni-und-Nanni-Leben führten und hellauf begeistert waren. Sie nabelten sich ab, und das war schließlich ganz normal in ihrem Alter.
    Auch Emil und Nathan kamen aus den Ferien zurück. Emil hatte sich acht Wochen lang in einem Altersheim um die Pflegefälle gekümmert, was ihm als Praktikum für sein geplantes Medizinstudium angerechnet wurde. Und Nathan hatte erwartungsgemäß Bridge gespielt und offensichtlich ständig gewonnen. Jedenfalls hatte er immer Geld für Markenklamotten.
    Volker hatte seine Praxistätigkeit wieder voll aufgenommen, war aber an den Wochenenden öfter auf Kongressen. Ein Neurodermitiskongress fand sogar in London statt! Ich bekniete Volker, nach unserer Lisa zu schauen, obwohl er mir versicherte, fast keine Zeit dafür zu haben. Trotzdem hielt er sein Versprechen und brachte mir sogar ein Opernprogramm von La Bohème in Covent Garden mit.
    »Sie wird von dem Dirigenten dort sehr gefördert«, berichtete er mir fast unwirsch, so als würde ihn das gar nicht wirklich freuen. »Nach der Vorstellung war sie mit ihm verabredet und hatte kaum Zeit für mich. Ich soll dich aber schön grüßen.«
    Nur einmal schaffte es Volker, an einem traumhaft schönen Altweibersommerwochenende mit seinem Freund Felix auf eine mehrtägige Bergtour zu gehen. Genau wie vor einem Jahr! Ich gönnte ihm sein bisschen Entspannung von Herzen. Sein Freund Felix schickte mir die schönsten Fotos vor strahlend blauem Himmel und leuchtenden Felsen per E-Mail. Volkers Gesichtszüge wirkten entspannt und erfrischt. Ich beugte mich lächelnd vor, als ich die Bilder auf meinem Bildschirm betrachtete: Er hatte sogar seine heiß geliebte Kappe wiedergefunden, die er im letzten Jahr verloren hatte! Mit der wirkte er irgendwie jünger. Wie schön, dass er sich endlich mal ein langes Wochenende in den Bergen gönnte. Ein Männerwochenende. Schließlich hatte ich unendlich viel Zeit mit meiner Freundin Lisa verbracht und Volker darüber fast vernachlässigt. Meine Güte, der Sommer war mehr als turbulent gewesen. Ich war froh, dass der Alltag wieder Einzug hielt.
    Die Mädchen gingen wieder in die Schule. Leonore tauchte mit schöner Regelmäßigkeit bei mir auf und trällerte ihre grässlichen Operettenarien. Meine Hoffnung, sie würde einfach nur mal ein paar Stunden bei dem Baby bleiben, erfüllte sich nicht. Unsere beiden Karrieren hingen fein säuberlich nebeneinander am Nagel. Und das schien Leonore heimlich zu freuen.
    Meine Stadtführungen hatten sich nun auch erübrigt, weil ich ja unmöglich den Kinderwagen mitnehmen konnte. Aber für dieses eine Jahr konnte ich ruhig mal aussetzen. Lisa zuliebe.
    »Sei froh, dass du jetzt ganz Hausfrau und Mutter sein darfst«, hörte ich Leonore sagen, als sie wieder einmal

Weitere Kostenlose Bücher