Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Überraschungsmann

Titel: Der Überraschungsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
Vom Netzwerk:
ankommt«, rief Volker von oben, wo er bereits sein Hemd aufknöpfte. »Sie wollte sie doch bestimmt mit Gesang zu Pianoklängen überraschen, wie ich sie kenne!«
    Die Tür flog zu, ich hörte die Dusche rauschen.
    Die Mädchen hatten sich mit Lisa auf das Sofa fallen lassen, wo sie jetzt alle mit Klein Fanny schmusten.
    »Guck mal, Lisa, was sie schon kann!«
    »Fanny, sag mal MAMA ! MMMMAMMMMA !«
    Zur mir sagte Fanny immer »Baba« und zu Volker praktischerweise auch.
    Mama hatten wir ihr absichtlich nicht beigebracht. Denn die war ja Lisa, und das sollte sie auch lernen.
    Die Tür oben flog wieder auf, und ein rasierschaumbedeckter Volker rief: »Hör mal nach, wo sie bleibt!«
    Mit einem prüfenden Blick auf die Uhr zog ich mein Handy aus der Tasche und rief Leonore an.
    »Hallo, Schwiegermama! Wir sind vollzählig! Bis auf dich!«
    »Gut, dass du anrufst«, rief Leonore aufgeregt in ihr Telefon. »Ich trau mich bei der Glätte echt nicht vor die Tür!«
    Ach je. Das fiel ihr ja früh ein.
    »Kann Volker mich nicht holen?«
    »Der steht unter der Dusche!«
    »Und einer von den Jungs?«
    »Ebenfalls.« Ich blickte aus dem Küchenfenster und sah Licht im Badezimmer des Fertighauses.
    »Warte, Leonore, ich hol dich!« Eilig band ich mir die Schürze ab.
    »Aber beeil dich! Ich stehe an der Ecke unter der Laterne!«
    »Nein, Mutter, bleib im Haus! Nicht dass du fällst! Ich bin in einer Viertelstunde da!«
    »Ich komme dir entgegen! Bis zur Laterne an der Ecke.« Leonore blieb stur.
    Also denn. Ich schlüpfte in meinen Mantel, nicht ohne kurz mit der Hand über den weichen Pelzkragen von Lisas Londoner Neuerwerb zu streicheln. Ich riss meine Autoschlüssel vom Haken und öffnete die Haustür. Ach. Volkers Wagen stand ja vor der Garage. Nahm ich eben schnell den. Wo war denn sein Autoschlüssel? Am Haken hing er nicht. Suchend fuhr ich mit der Hand in seine Manteltasche. Da war nur ein Zettel. Ich wollte ihn eigentlich wieder zurückstecken, doch aus irgendeinem Grund warf ich einen flüchtigen Blick darauf, während ich noch in der anderen Manteltasche nach dem Autoschlüssel kramte. Vielleicht, weil Weihnachten war. Vielleicht, weil alle Frauen auf der Welt an Weihnachten noch ein kleines bisschen neugieriger sind als an den anderen 364 Tagen im Jahr. Ich weiß es nicht mehr.
    Es war ein Überweisungsbeleg. Wieso hatte er den denn so lose in der Manteltasche? Volker hatte Geld von seinem Konto an eine Bank in London überwiesen. Ich sah genauer hin. Empfängerin war Lisa!
    Und der Betrag war …
    Mein Herz hüpfte. 386,95 Euro! Ungläubig schüttelte ich den Kopf. Die Handtasche! Ich konnte mein Glück kaum fassen! Er hatte ihr das Geld für die Handtasche überwiesen! Das heißt, ich würde sie heute … Ich schloss die Augen und atmete tief ein. Vor lauter Euphorie war ich beinahe wie in Trance. Sie hatte die Handtasche extra für mich … Wie lieb von ihr. Und auch von Volker. Die beiden hatten sich wirklich Mühe gegeben, mich zu überraschen. Deshalb waren sie auch so spät gekommen!
    »Herzerl?«
    Ich zuckte zusammen und ließ den Zettel schleunigst wieder in der Manteltasche verschwinden.
    »Ja?«
    »Hast du meine Mutter erreicht?«
    »Ja! Ich hole sie schnell! Wo sind deine Autoschlüssel?«
    »Im Jackett auf der Kaminbank!«
    »Alles klar!«
    Beschwingt wendete ich den Wagen und rasierte mit dem Heck ein ganzes Stück des aus der Einfahrt geschaufelten Schneehaufens weg.

17
    Es war ein perfektes Fest. Genau so, wie ich mir das in allen Einzelheiten ausgemalt hatte. Ehrlich, so musste Weihnach ten sein!
    Das Essen war gelungen, der Karpfen – wie sogar Leonore, ihre Fingerspitzen küssend, zugab – ein Gedicht. Fannylein sperrte ihr Schnäbelchen auf und ließ sich füttern, während ihr Näschen lief und sich der Lichterglanz in ihren Augen spiegelte. Alle plauderten, lachten, neckten einander.
    Inmitten des turbulenten Gläserklirrens, Besteckklapperns, des Dufts von Weihrauch aus der Krippe und des Flackerns der Kerzen fanden sich Volkers und meine Blicke: »Hallo, du! Toll, dass wir das beide auf die Beine gestellt haben!« Heimlich hoben wir unser Glas und prosteten uns zu. Ich warf ihm über den langen Tisch einen Kuss zu, und er schickte unauffällig einen zurück. Meine Lippen formten ein »Ich liebe dich«, und er nickte und lächelte. Plötzlich hatte ich das Gefühl, dass seine Augen feucht wurden. Wir waren komplett. Das hier war unsere Familie, unser Zuhause, – ja selbst mit

Weitere Kostenlose Bücher