Der Überraschungsmann
gemacht. Schau, wo du jetzt bist! Du bist fast am Ziel!«
»Bin ich das?«, fragte Lisa gedehnt. »Fast am Ziel?« Sie sah mich mit seltsam schmalen Augen an.
»Aber ja! London! Covent Garden! Andere junge Mütter hätten das nie und nimmer geschafft.« Ich drückte sie an mich. Ich versuchte, so fröhlich wie möglich zu klingen, aber alles, was ich sagte, klang in meinen Ohren irgendwie hohl. Natürlich litt sie furchtbar darunter, ihr süßes Kind zurücklassen zu müssen!
»Aber nur mit deiner Hilfe!«, heulte Lisa an meiner Brust.
Ich hatte Angst, dass sie wieder ihren Moralischen kriegen würde. Volker hatte davon gesprochen, dass das Burnout-Syndrom bei Lisa jederzeit wiederkommen könnte! Ich hoffte, es war nur der Abschiedsschmerz.
»Ach, Liebes, mir ist ja auch ganz schwer ums Herz, dass du uns jetzt verlässt! Aber mach dir keine Sorgen um Fanny. Wir mailen dir jeden Tag Fotos, und Weihnachten kommst du ja wieder!«
Lisa sah so bedrückt aus, als sie mich ansah! So als wollte sie mir etwas sagen, konnte sich aber nicht dazu überwinden. Ich wusste, was sie dachte. Ich wusste, was sie fühlte. Meine Töchter hatte ich ja auch »wegorganisiert«. In den Sommerferien. Das schlechte Gewissen nagte entsetzlich an mir. Aber manchmal muss man eben Prioritäten setzen!
»Meine Karriere habe ich an den Nagel gehängt«, versuchte ich sie zur Vernunft zu bringen. »Genau wie Leonore.« Einen Augenblick lang starrten wir uns an. »Also? Willst du das etwa auch? In deinem Alter?«
»Ich kann dich doch nicht immer nur …«
»Doch, kannst du.«
»Aber du weißt nicht …«
»Natürlich weiß ich.«
Alles, was wir sagten, waren unvollendete Sätze. So als wollte keiner von uns der Wahrheit allzu nahe zu kommen. Doch die Wahrheit war, dass sie und ihr Kind in unser Leben getreten und an uns kleben geblieben waren. Und jetzt hatte ich ihr Kind an der Backe.
»Du fährst. Ohne schlechtes Gewissen, hörst du?«
»Barbara, ich würde alles dafür geben, die Zeit zurückdrehen zu können …«
»Kannst du aber nicht. Fanny und du, ihr gehört zu uns.«
Wir lagen uns in den Armen.
»Genieß es«, hörte ich mich fast beschwörend sagen. »Du stehst am Anfang deines Lebens! Auf dich wartet eine fantastische Karriere!«
Lisa schaute mir in die Augen und lächelte. »Ich möchte dir so gern was schenken zum Abschied …« Sie durchwühlte ihren Schrank. Mehrere kleine Designerhandtäschchen flogen auf den Fußboden. »Da! Such dir eine aus!«
»Ich?« Fragend zog ich die Augenbrauen hoch.
»Ja, wer denn sonst! Fanny kann damit bestimmt noch nichts anfangen!«
Ich lächelte überrascht. Gerührt betrachtete ich die strassbesetzten Täschchen, in die kaum ein Taschentuch passte. »Das ist wirklich süß von dir, Lisa, aber …« Prüfend ließ ich eine am Finger baumeln. «Ich habe zu diesen winzigen Täschchen ein ähnliches Verhältnis wie zu diesen winzigen Schlüpfern. Ich muss dir gestehen, dass ich eher eine Freundin von großen, kompakten Handtaschen und großen, kompakten Schlüpfern bin.«
Eigentlich wollte ich sie damit nur wieder zum Lachen bringen. Das gelang mir auch. Sie grinste unter Tränen.
»Ich weiß, welche Liebestöter du immer anziehst.«
»Werd bloß nicht frech!« Mit einem Fummel von Tanga-Slip schlug ich spielerisch nach ihr. »Aber weißt du, was ich mir wirklich wünsche?«
»Ja?«
»Ich hab da neulich im Schaufenster …« Und dann erzählte ich ihr von der großen, roten, weichen Lederhandtasche mit dem bequemen Schultergurt, die den unglaublichen, unaussprechlichen Preis von 386,95 gehabt hatte. »Wenn du Volker bei Gelegenheit steckst, dass ich mir DIE zu Weihnachten wünsche, hättet ihr wirklich ins Schwarze getroffen.«
»Ich weiß, welche Tasche du meinst«, sagte Lisa nickend. »Guido Hoffmann.«
»Wer ist das?«
»Der Designer.«
»Ja, echt?« Unwillkürlich war ich noch stolzer auf sie als ohnehin schon. Sie kannte sogar alle Handtaschendesigner!
»Besondere Taschen für besondere Frauen!«
»Ja, genau! Das stand dabei!«
»Ich sag’s ihm!«, sagte Lisa leichthin und sprang auf. »Soll ich ihm auch noch sagen, welche Liebestöterzelte aus der Muttiabteilung er dir schenken soll?«
»Wehe! Du Rotzgöre!« Lachend fielen wir uns um den Hals.
Am selben Abend brachten Volker und ich sie zum Flughafen. Als sie ihm zum Abschied etwas ins Ohr flüsterte, mit einem Seitenblick auf mich, wandte ich mich in heimlicher Freude ab und tat so, als hätte ich nichts
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