Der Überraschungsmann
vorbei kam. »Andere Frauen würden sich nach einem solchen Mann und einem solchen Haus alle zehn Finger lecken! Um deine Kinder hast du dich ja kaum gekümmert! «
Leonore stieß ein verächtliches Schnauben aus. »Abgeschoben hast du sie, in ein Heim.«
Das versetzte mir einen Stich. Meine Schwiegermutter hatte wirklich Talent, Salz in meine Wunden zu streuen.
»Ein Ferienheim.«
»Heim ist Heim.«
»Es war in diesem Sommer das Beste für uns alle«, seufzte ich ergeben. »Sing mir etwas vor, Leonore. Die Christel von der Post. Ich höre dir zu.«
»Du nimmst mich nur auf den Arm!«, argwöhnte Leonore. »Du willst das gar nicht wirklich hören!«
Aber sie sang dann doch. Leider. »Ich bin die Christel von der Post, klein das Salär und schmal die Kost …« Ich saß mit dem Baby auf dem Schoß im Musikzimmer und kämpfte mit den Tränen.
Die Wochen vergingen, und auf einmal zählten wir die immer kürzer werdenden Tage bis Weihnachten. Weihnachten würde Lisa wiederkommen! Ich war so gespannt, was sie berichten würde! Mit welchen Leuten sie zusammengekommen war! Ob sie schon im königlichen Palast gesungen hatte? Ich mailte ihr jeden Tag, schickte Fotos von Fanny. Sie schrieb manchmal wochenlang nicht zurück. Bestimmt hatte sie zu viel zu tun. Wer weiß, in welchen Sphären sie sich bereits bewegte? Lisa war immer für eine Überraschung gut!
Es gab unheimlich viel einzukaufen und zu besorgen. Ich wollte ein wunderschönes großes Familienfest ausrichten. Mit allen, die zu uns gehörten. Und natürlich mit viel Musik. Mit der schönsten Live-Musik überhaupt! Lisa würde für uns singen! Es sollte ein unvergesslicher Heiligabend werden.
Knirschend schob ich den Buggy mit Fanny, die pausbackig auf ihrem Lammfell saß, durch den frisch gefallenen Schnee über die Hellbrunner Allee in Richtung Christkindlmarkt, um die schönste Dekoration zu besorgen. Die Mädchen weigerten sich wie jedes Jahr im Dezember, das Haus zu verlassen, weil sie sich so vor den Perchten fürchteten.
»Auf keinen Fall können wir dir bei den Einkäufen helfen, Mama. Die Krampusse lauern überall und erschrecken die Mädels.«
»Aber das sind doch ganz normale Jungs, die sich nur hinter diesen gräulichen Masken verstecken, weil sie sich ohne nicht trauen, so hübsche Mädels wie euch anzusprechen!«
»Nicht auf den Christkindlmarkt, Mama. Die sind alle besof fen. Wer da hingeht, ist selber schuld. Da kann ich gleich zu einer öffentlichen Steinigung gehen!«
Also gut. Ging ich eben allein. Es war ja noch so verdammt viel vorzubereiten! Ich wollte es allen zeigen. Besonders Leonore und Wiebke, die wie jedes Jahr auch bei uns herumsitzen würden. Dieses Weihnachten sollte unvergesslich werden. Leben, Liebe, Wein, Weib und Gesang! Eine gelungene Patchworkfamilie! Leuchtende Kinderaugen! Gegenseitige Toleranz! Wiebke Sauerkloß sollte ruhig einmal sehen können, warum Volker MICH geheiratet hatte. Weil ich eine liebevolle, fröhliche, unkomplizierte, aber natürlich doch perfekte Hausfrau war. Weil ich kochen konnte. Backen. Schmücken. Mit einem ausgeprägten Sinn fürs Detail. Nachdenklich knabberte ich auf meiner Unterlippe. Womit könnte ich sie beeindrucken? Au ja! Dieses Jahr würde das ganze Haus in Dunkelrot und Gold geschmückt sein. Es würde nach Vanillekipferln duften und nach Zimtsternen. Das gute Weihnachtsporzellan würde aufgedeckt. Das hatte ich im Internet direkt bei Porsgrund in Oslo bestellt. Am Vierundzwanzigsten würde es mit einer gemütlichen Kaffeetafel bei uns losgehen. Lisa sollte sich sofort wieder bei uns zu Hause fühlen. Dann würde Leonore ihre unvermeidlichen Weihnachtslieder spielen, und Lisa würde singen! Ich stellte mir schon vor, was sie anhaben würde: ein dunkelblaues Samtkleid. Volker würde filmen. Währenddessen würde ich Zeit haben, mich um den Karpfen zu kümmern. Der würde um Punkt zwanzig Uhr auf den Tisch kommen, dieses Jahr auf thailändische Art. Mariniert und damit etwas schärfer als sonst. Das Hornbesteck aus London würde gut dazupassen. Lisa hatte es mir zum Geburtstag geschickt. Die Seidenservietten aus Tunesien, wo Volker vor Kurzem auf einem mehrtägigen Rheumasymposium gewesen war, Wassergläser, Weißweingläser und Rotweingläser, vielleicht noch ein Gläschen Schnaps zur Auflockerung verkniffener Gemüter? Ja, wir waren eben international unterwegs, liebe Trockenpflaume Wiebke! Wir versauerten nicht in einer Apotheke!
Ich steigerte mich immer mehr in meine Pläne
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