Der Überraschungsmann
Jahren … Beträge bei Nettoeinkommen … In Euro … § 1612 a ABS 1 BGB.« Bestimmt sah ich Gespenster. Ich starrte und starrte, rechnete zusammen und berücksichtige Volkers Höchsteinkommen … Und plötzlich traf mich eine eisenharte Faust mitten ins Gesicht. In Volkers Steuerklasse stand genau der Betrag. 386,95 Euro.
»Nein«, flüsterte ich gegen das Pochen meines Herzens an. »Nein.« Mein Magen verkrampfte sich und weitete sich dann zu einer giftigen Blase, die mich von innen zu zerreißen drohte. Ich stöhnte, hörte förmlich, wie mir die Luft ausging. Gleich würde ich wie ein alter, poröser Luftballon immer kleiner und kleiner werden, orientierungslos davonfliegen und mich irgendwo im Nichts auflösen. Ich war nur noch eine leere, verschrumpelte Hülle.
Ich saß hier nicht. In Wirklichkeit lag ich neben Volker im Bett und hatte wirre Träume, weil ich zu viel Wein getrunken hatte.
Der Bildschirmschoner sprang an.
Es war das Foto von Volker, das mir sein Freund Felix geschickt hatte. Wie er da lächelnd in der Bergwand hing. Er sah so … erholt aus. So sorglos. Als wenn er sich in den paar Tagen ein ganzes Jahr erholt hätte. Die Kappe. Seine heiß geliebte Sportkappe, der er so lange nachgetrauert hatte. Überall hatten wir sie gesucht, im Rucksack, im Auto, in den Schränken der Jungen – sie hatte sich in Luft aufgelöst! Wieso hatte er sie plötzlich wieder auf? Wieder oder noch, hörte ich Wiebke ätzen. Oder war die Aufnahme gar nicht von DIESEM Jahr? Stammte sie von einer früheren Wandertour? Sollte Felix etwa mit ihm unter einer Decke stecken und mir alte Fotos geschickt haben, damit ich glaubte, Volker wäre mit IHM unterwegs?
Das war ja ungeheuerlich. Das war … Ich starrte auf das Bild, bis es vor meinen Augen verschwamm. Mein Herz setzte einen Schlag aus.
Seine Uhr. Sie hatte noch das alte schwarze Lederarmband. Inzwischen war es durch ein braunes erneuert worden. Es WAR eine alte Aufnahme. Ich rang nach Luft.
Plötzlich hörte ich die Tür knarren. Ich war nicht allein.
»Herzerl?«
Volker. Wie lange stand er schon in der Tür?
Mit einer schier übermenschlichen Willenskraft gelang es mir, den Kopf zu heben.
»Es ist fünf Uhr früh! Kannst du nicht schlafen?«
Seine Stimme schien um drei Oktaven tiefer zu sein als sonst. So verzerrt klang sie in meinen Ohren.
Volker trat einen Schritt näher, legte mir die Hand auf die Schulter, die an dieser Stelle plötzlich zu brennen begann, und betrachtete das Bildschirmschonerfoto: »Ach, das war meine Bergtour mit Felix im September.«
»Wirklich?«, hörte ich mich krächzen.
»Ja, sag mal, stimmt was nicht?!«
»In der Tat. Schau mal auf das Uhrenarmband. Und auf die Kappe.«
»Na, dann ist es eben aus dem letzten Jahr, vielleicht sogar aus dem vorletzten.«
Volker schien keinerlei schlechtes Gewissen zu haben. »Wieso ist das so wichtig für dich?«
Ich hielt mich an der Tischkante fest, um nicht vom Stuhl zu fallen. Wortlos öffnete ich die Hand, in der ich den Überweisungsschein hielt. Mein Arm war schwer wie Blei, aber ich hob ihn in sein Blickfeld.
Volkers Augen wurden schmal. »Was hast du da?«
»Das frage ich dich!«
Volker riss mir den Überweisungsschein aus der Hand, glättete ihn und starrte mich fassungslos an.
»Wo hast du den her?«
»Er war in deiner Manteltasche.«
Volker wurde blass.
Einen kurzen Moment lang fürchtete ich, er würde mir ein entsetzliches Geständnis machen. Ich schloss die Augen und wartete.
Volker straffte die Schultern und rief mit unterdrückter Wut: »Scheiße! Scheiße! Scheiße!«
»Ja«, flüsterte ich. Meine Augen waren voller Tränen.
Volker zog einen Stuhl heran und setzte sich rittlings darauf. Mit einer Hand berührte er eine beliebige Taste. Sofort sprang ihm die »Düsseldorfer Tabelle« in die Augen. Mit der anderen Hand hob er mein Kinn und zwang mich, ihm in die Augen zu sehen.
»Du hast also herausgefunden, dass es sich um eine Unterhaltszahlung handelt.«
Ich presste die Lippen aufeinander. Sein Gesicht war so nah vor dem meinen, dass ich jede Pore einzeln erkennen konnte.
»Und jetzt ist gerade eine kleine Welt für dich zusammengebrochen, stimmt’s?«
Ich konnte nichts antworten. Eine KLEINE WELT ? Mein LEBEN !
»Ich hätte es dir sagen sollen. Ich Trottel.« Volker wischte mir mit seinem Schlafanzugärmel die Tränen aus den Augen. So wie er es bei unseren Töchtern immer tat.
»Hör zu, Herzerl. Das wird dich jetzt überraschen, aber wir wollten
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