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Der übersehene Mann: Roman

Der übersehene Mann: Roman

Titel: Der übersehene Mann: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christina McKenna
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freier, es ging um ihre Berufe – der eine erzählte vom Bauernhof, die andere aus dem Klassenzimmer. Die Temperatur in der Lounge war mittlerweile tropisch. Jamie sprach über seine Tiere und das Akkordeon und Lydia über ihre Bücher und die Musik.
    Nach und nach entspannte sich Jamie, der Alkohol und die schwüle Atmosphäre hatten die Ecken und Kanten seines ängstlichen Ichs gerundet. Er konnte gar nicht fassen, wie wohl er sich in der Gesellschaft dieser Frau fühlte, und deswegen verschob er das dringende Bedürfnis, die Toilette aufzusuchen. Aber nach einer Stunde musste er sich doch entschuldigen, denn er musste sich nicht nur erleichtern, es kribbelte ihm auch immer stärker auf der Kopfhaut.
    In der Herrentoilette sah er prüfend in den Spiegel und wollte sich die Schweißtropfen von der Stirn wischen. Aber er hatte sich getäuscht.
    Es waren Klebstoffkügelchen – vom Toupet.
    Er war überrascht, aber nicht besonders beunruhigt. Er ließ sich Wasser über die Finger laufen und ein paar Minuten später waren alle klebrigen Spuren des Haftmittels verschwunden. Er lächelte sich im Spiegel zu und freute sich, dass alles so gut lief.
    Dann ging er in eine Kabine, um Wasser zu lassen, den Blick fest auf die Toilettenschüssel gerichtet. Beim Pinkeln fiel er in eine uralte Gewohnheit zurück: Er suchte immer nach dem Schriftzug auf den Schüsseln:
Shanks Patent «Unix” Washdown
;
Royal Doulton «Simplicitas”
... Er kannte ein halbes Dutzend Hersteller auswendig, es schienen immer irgendwie dieselben zu sein. Dann dachte er daran, was für ein Glück er gehabt hatte, endlich auf diese wunderbare Dame gestoßen zu sein, und ließ sich in einen Tagtraum gleiten.
    Er sah sich in einem weißen Anzug an Lydias Arm einen sonnendurchfluteten Gang hinuntergehen, während die Orgelmusik anschwoll, als sie sich dem Altar näherten und auf den prunkvollen Kissen niederknieten. Er sah sich selbst, wie er ihr einen Ehering auf den Finger schob und seine Braut küsste. Und dann setzte die Musik wieder ein.
    Die Toilettentür wurde geöffnet und brachte Jamie in die Gegenwart zurück. Er beeilte sich fertig zu werden – doch der Reißverschluss ließ sich partout nicht hochziehen. Dann fiel ihm Mr Harveys Rat ein:
Die Reißverschlüsse sind etwas spröde, wenn sie neu sind, aber Sie müssen sie mit einem kräftigen Ruck hochziehen, dann klappt das schon.
Jamie beugte sich vor, zog den Bauch ein, kniff die Augen zusammen und zog miteinerheftigen Bewegung am Reißverschluss. Das wars: Der Hosenstall war wieder zu.
    Doch mit dem Ruck, mit dem er den Reißverschluss hochgezogen hatte, hatte sich etwas anderes gelöst.
    Er war irgendwie erleichtert, und sein Kopf fühlte sich erfrischend kühl an. Als er die Spülung herunterdrückte, nahm er aus dem Augenwinkel etwas Merkwürdiges in der Toilettenschüssel wahr. Er ging in die Knie, damit er es besser sehen konnte.
    »Jesus, Maria und Josef!«
    Er griff sich an die Kopfhaut – da war nur noch eine klebrige Glatze.
    »Jesus, Maria und Josef!«, rief er wieder und zog das tropfnasse, uringetränkte Haarteil aus der Schüssel. Die Tragweite dieser Katastrophe schlug ihn wie ein nasses Handtuch ins Gesicht.
    »Jamie, bist du da drinnen?«, rief ihn jemand aus der Nachbarkabine.
    Jamie hielt die Luft an. Was, wenn das der kahle kleine Bastard mit der Kamera war? Ach Unsinn, der kannte seinen Namen doch gar nicht.
    »Ja, ich bin’s«, sagte er zögerlich. »Wer ist da?«
    »Paddy!«
    »Himmelherrgott nochmal, Paddy!«
    Die beiden Kabinentüren wurden gleichzeitig entriegelt. Paddy starrte seinen Freund an und versuchte aus dem entmutigten Jamie schlau zu werden, der aussah, als wäre er mit dem Kopf voran auf einen Basteltisch im Kindergarten gefallen. Seine Kopfhaut war voller Klebstreifen und Klebstoffkleckser. Und worauf er sich absolut keinen Reim machen konnte: Warum liefen die wirren Worte
Klebfähigkeit variiert je nach
in roten Lettern über seinen kahlen Kopf?
    »Ach du lieber Gott, wie ist denn das passiert, Jamie?«, fragte Paddy überflüssigerweise, denn er kannte die Antwort schon. Jamie hielt das Toupet in der Hand. Urin tropfte auf die Fliesen herunter.
    »Jesus Christus, Paddy, damit hätte ich nie und nimmer gerechnet!« Er sah niedergedrückt auf das Haarteil. »Ich dachte, es ist ganz fest auf dem Kopf. Zuhause hab ich dran gezogen, nur um ganz sicher zu gehen, und es hat sich nich einen Millimeter bewegt.«
    Doch während er das sagte, fielen ihm die

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