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Der Umfang der Hoelle

Der Umfang der Hoelle

Titel: Der Umfang der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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eindringen konnte, falls denn dieses Messer tatsächlich durch das Fleisch gestoßen werden sollte. Doch der feste Griff des Plattnasigen ließ keine Veränderung zu. Allerdings zögerte er, eine erste Verletzung vorzunehmen. Er schien nachdenklich wie ein Künstler, der sich nicht zwischen zwei Farben entscheiden konnte. Ja, der vielleicht nicht einmal wußte, ob er einen Mann oder eine Frau modellieren wollte. Er zögerte und …
    »Einen Moment, bitte!« ließ sich eine Stimme vernehmen. Die Stimme jener Frau, der man so unvermutet ins Gesicht geschlagen hatte. Bei dem permanenten Theater um dritte und vierte Augen, konnte man gar nicht anders, als ihre offene, blutige Braue als eine zusätzliche Augenhöhle zu empfinden, aus der heraus eine kirschartige Pupille leuchtete. Die Frau schien sich durchaus gefangen zu haben. Sie stand sehr aufrecht vor den beiden Männern, in der rechten Hand das Messer, das der Dorftrottel hatte liegenlassen.
    Im Gegensatz zu dem wütenden Geschrei, mit dem sie die Angreifer zu Beginn dieser ganzen Geschichte bedacht hatte, war ihre Bitte, einen Moment innezuhalten, mit der allerruhigsten Stimme vorgetragen worden. Auch mit einem gewissen Bedauern. Als störe sie Kinder beim Spielen. Und als störe sie eben nur sehr ungern. Aber Schlafenszeit war nun mal Schlafenszeit.
    Nicht minder ruhig gestaltete sich die Bewegung, die sie nun vollzog, indem sie ein Bein nach vorn stellte, ein wenig ihre Knie abwinkelte, den angehobenen Arm schräg stellte und das Messer mit leichtem Schwung – so wenig weibisch wie viril, sondern geschlechtslos umstandslos – niederfahren ließ und die Klinge zur Gänze in den Körper des Plattnasigen stieß. Und zwar genau an der Stelle, an der die Schulter in den Hals überging. Sie hatte etwas dazugelernt. Sie hatte begriffen, daß mit derselben kühlen Eleganz und harten Beiläufigkeit, mit der ein Schlag ins Gesicht zu bewerkstelligen war, auch das Zustechen mit einem Messer erfolgen konnte.
    Dieses Messer war nun nicht ganz so mächtig wie jenes, das der Plattnasige in seiner Hand hielt und noch immer gegen Reisigers Wange gerichtet hatte. Doch erwies es sich als lang und scharf genug, um auch ohne ein Extra an eingesetzter Kraft und Rasanz oder gar Raserei, sondern eben auf jene ruhige und flüssige Weise einen größtmöglichen Schaden anzurichten. Zwar schien der Plattnasige zu lächeln, noch dazu abfällig, als halte er Frauen für unfähig, eine Zielscheibe von einer Satellitenschüssel zu unterscheiden, Tatsache aber war, daß die Spitze des Messers durch seine Halsschlagader gegangen und in die Luftröhre eingedrungen war. Diese Messerspitze, welche ebenfalls die gleichmäßige Bogenform einer Kirchenpforte besaß, hatte ihrerseits eine Pforte geschaffen, aus der nun das Leben des Plattnasigen ausrann und sein Odem verdampfte. Da konnte er lächeln, soviel er wollte. Die anderen aber taten sich schwer, zu glauben, was sie da sahen, dieses Messer, dessen braun und grün und grau gefleckter Knauf gleich einer kleinen Flosse aus der Schulter herausstand. Einen kurzen Moment hielt sich der Plattnasige aufrecht oder wurde auch nur von sturen Dämonen gestützt, dann kippte er zur Seite, fiel von Reisiger herunter, als sei er aus dem Sattel eines Pferdes geschossen worden. Einen Moment schien sein Lächeln in der angestammten, aufrechten Position zu verharren, in etwa wie der grinsende Mund der sich auflösenden Cheshire-Katze aus Alice im Wunderland. Sein Tauchermesser allerdings nahm der Plattnasige mit sich. Reisiger blieb also wie er war: zweiäugig.
    Übrigens würde in ersten Zeitungs- und Fernsehberichten betont werden, daß der Plattnasige nicht auch jener Hooligan gewesen war, welcher der Frau ins Gesicht geschlagen hatte, weshalb die Presse geneigt war, einen bewußten Racheakt auszuschließen. Vielmehr vertrat man allgemein die Ansicht, daß die energische Handlung allein darin begründet lag, eine Tötung oder schwere Mißhandlung Reisigers zu verhindern. Auch dachte niemand daran, daß die Frau die Klinge mit voller Absicht genau an dieser bestimmten Körperstelle untergebracht hatte. Schon gar nicht wollte irgend jemand ihr die gemeingefährliche Beschaffenheit des Messers – des Dorftrottelmessers – zum Vorwurf machen.
    Nein, man sah diese beherzte Frau als einen Engel an. Und zwar einen erfolgreichen, ganz im Gegensatz zu den beiden servierenden Renaissancegestalten. Und erfolgreich war sie nun auch tatsächlich gewesen. Vom Opfer zum

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