Der Umfang der Hoelle
anderswo. Das ist spannender, als es klingt. Ein Haus bauen ist ein Klacks dagegen. Viel passiert ja nicht, wenn sie ein Gebäude wo hinstellen. Das bißchen Umgebung, das verschandelt oder zugebaut wird, fällt kaum ins Gewicht. Eine Autobahn aber, das bedeutet ja immer, sich mit der Natur anzulegen, und zwar im großen Stil.«
»Scheint Ihnen Spaß zu bereiten.«
»Vor allem die Brücken«, verriet Turinsky. »Die Brücken sind natürlich die elegantere Form, sich der Landschaft aufzudrängen, ihr den Raum streitig zu machen. Eleganter als die pure Straße und natürlich viel eleganter als Tunnels. Die pure Straße ist wie eine platte Leiche aus einem Zeichentrickfilm, das Tunnel wie ein ins Auge gestoßener Finger. Wenn es nach mir ginge, gäbe es bloß Brücken. Wir würden dann nicht allein ein Tal und einen Fluß überwinden, sondern eben gleich das ganze Land. Wahrhaftiger Hochbau. Teuer, aber schön.«
»Was tun Sie da genau, wenn Sie sich mit der Natur anlegen?«
»Ich beschäftige mich mit den geologischen Bedingungen. Ich sehe zu, daß uns das Land unter der Last unserer Ingenieurskunst nicht zusammenbricht«, erklärte Turinsky und bat um eine nächste Zigarette.
»Gratuliere«, sagte Reisiger.
»Wozu?«
»Sich das Rauchen wieder angewöhnt zu haben.«
»Ja. Sie haben recht. Es geht ganz gut«, sagte die Frau und ließ sich abermals Feuer geben, was aus der Ferne aussah, als werde sie von Reisiger gefüttert. Dann fragte sie: »Für wen sind die Blumen?«
»Also wissen Sie … man sollte meinen, daß Sie das nichts angeht.«
»Ich hatte meine Neugierde noch nie im Griff«, äußerte Turinsky und lachte den Schlußteil von einem Lachen. »Was ich aber nicht weiter tragisch finde. So wenig wie es mich stört, eine Frage nochmals zu stellen. Ohnehin glaube ich, daß Sie der Typ sind, der jede Frage ein zweites Mal hören möchte.«
»Nicht nötig«, sagte Reisiger. »Die Blumen sind ein Versehen. Es wäre vernünftiger gewesen, sie erst morgen zu kaufen.«
»Die Ratlosigkeit des Schenkers«, kommentierte die junge Frau. Und erklärte: »Blumen und Bücher! Wer Blumen und Bücher verschenkt, kennt zumeist den Beschenkten nicht.«
»Da haben Sie jetzt aber wirklich recht.«
»Keine Dame Ihres Herzens also.«
»Mein Herz ist leer«, behauptete Reisiger.
Kim Turinsky produzierte einen verächtlichen Ton, als hielte sie die Existenz leerer Herzen für eine geschlechtsspezifische Koketterie, sah nach dem Strauß und fragte: »Was für Blumen eigentlich?«
»Da müssen Sie schon selbst nachsehen. Ich habe nicht die geringste Ahnung.«
»O weh! Sind Sie einer von denen, die in ein Geschäft gehen und dann nicht wissen, was sie wollen? Ich habe früher in einem Restaurant gearbeitet. Man soll nicht glauben, wieviel Leute herumlaufen, die zu faul sind, sich eine Bestellung auszudenken. Oder es für einen Clou halten, das Personal entscheiden zu lassen. Am Schluß besitzen sie die Frechheit, sich zu beschweren, das Falsche bekommen zu haben.«
»Keine Sorge«, sagte Reisiger und erklärte, daß er einzig und allein in Fragen der Blumenwahl meinungslos dastehe. Und auch alles akzeptiere, was die Floristen ihm vorsetzen würden. Dann machte er deutlich: »Blumen ängstigen mich. Ich kaufe sie, weil es sich gehört, so wie es sich gehört, hin und wieder Äpfel und Bananen zu kaufen. Wenn ich eine Banane öffne, einen Apfel halbiere, erwarte ich stets eine böse Überraschung, einen Wurm, eine Spinne, etwas Fauliges. Bei Blumen aber ist das noch viel schlimmer. Ich ängstige mich, in eine Blüte hineinzusehen. Es ist so eine Ahnung, eines Tages auf etwas zu stoßen … nicht bloß auf irgendein Insekt. Etwas weit Unangenehmeres. Etwas Fremdartiges und Diabolisches.«
»Ein Alien?«
»So ungefähr.«
»Sagen Sie«, fragte Kim Turinsky, »ist das Ihre Art, sich interessant machen zu wollen?«
»Nicht doch«, wehrte Reisiger eilig ab. Er war ihm ernsthaft peinlich, sich derart vergessen und die eigene Person in ein bedeutungsvolles, weil pathologisches Licht gestellt zu haben. Er wollte erklären, daß … aber Turinsky hörte schon nicht mehr zu.
»Jetzt sehen wir uns mal an, was man Ihnen da untergejubelt hat«, sagte sie, griff nach dem verhüllten Blumenstrauß, öffnete die an der Spitze mit Klebeband fixierte Verpackung und bog das Papier zur Seite. Keine Rosen, keine Tulpen, keine Orchideen, auch keins von diesen Gebinden aus tausend Schnürchen, sondern ein in hohem Maße komplexes Geflecht
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