Der Umfang der Hoelle
breit wie ein Reclambüchlein, zusammengehalten. Die silberne Schnalle formte sich aus kreisförmig angelegten Buchstaben, die das Wort TEXTOX ergaben. Die kräftigen Beine, denen aber das Ekelhafte einer hervorstechenden Muskulatur fehlte, waren von festen, schwarzen Strümpfen umhüllt, aus deren Gewebe silbrige Punkte aufblitzten, um mit einer jeden neuen Bewegung wieder zu verschwinden und an anderer Stelle aufzutauchen. Hätte man es auf den Punkt bringen wollen, hätte man sagen müssen: Diese Frau ist ein Aquarium, eine Cafébar und ein Planetarium.
Was nun aber bei der Betrachtung dieser Person – bei der Betrachtung durch Reisiger – wesentlicher und eindrucksvoller erschien als alles andere, das war der mächtige und in keiner Weise vertuschte, auch gar nicht vertuschbare Busen. In dem engen Kleid, dem engen Netz und dem runden Ausschnitt lag er schwer und mitteilsam. Diesem Busen mangelte jene feststehende, kuppelig gleichmäßige Form, die an Soldatenhelme erinnerte und entweder auf ein jugendliches Gewebe oder einen operativen Eingriff zurückzuführen war. Vielmehr nahm er eine angelehnte Position ein, die seiner Schwere und Größe entsprach. Ein solcher Busen mußte auch ein wenig hängen, um überhaupt ernst genommen zu werden und nicht bloß als optische Skurrilität zu fungieren.
Reisiger hatte Mühe, seinen Blick im Zaum zu halten. Noch dazu, da sich die Frau ihm gegenüber ans Fenster gesetzt hatte. Er mußte in die Höhe rücken, damit ihrer beider Knie nicht aneinanderstießen. Die Frau dankte ihm mit einem Lächeln, wobei ihre Lippe gleich einer Rose aufging. Es gab auch Blumen, die Reisiger gefielen.
Obgleich nun die Auffälligkeit dieser Frau sich durchaus aus einer aktuellen Mode speiste, in welcher monumentale Gürtel und monumentale Frisuren nichts Ungewöhnliches darstellten und eine gewisse Vulgarität richtiggehend Pflicht war, konnte Reisiger die nachgerade pornographische Ausstrahlung nicht übersehen. Er fand diese Frau weniger originell als erregend, weniger up to date als pin up. Freilich war er keineswegs glücklich ob ihrer Anwesenheit. Schließlich saß er nicht hier, um verstohlene Blicke auf die rufzeichenartige Spalte eines tiefen Ausschnitts zu werfen, sondern um den Mond im Ausschnitt eines Zugfensters zu betrachten. Dieser Mond war nun mal der eigentliche Grund, die Nacht in einem solchen Abteil zu verbringen. Außerdem fand er es ungemütlich, mit eingezogenen Beinen und einer aufrechten Haltung dasitzen zu müssen.
Reisiger fragte, wobei er weder Kim Turinsky noch die Vollbusige ansah, sondern zwischen die beiden blinzelte, er fragte also, ob man etwas dagegen hätte, wenn er das Licht ausdrehen würde. Die Frauen schüttelten ihre Köpfe. Reisiger stand auf und drückte den Schalter oberhalb der Türe. Die Dunkelheit, die nun den Raum erfaßte, überraschte ob ihrer Intensität. Es war Reisiger unmöglich, in der Schwärze etwas auszumachen. Erst als er sich wieder auf seinem Platz niedergelassen hatte, vorsichtig wie ein Rückenleidender, konnte er vage die Frau am Fenster erkennen. Daß nur so wenig zu sehen war, mochte angesichts eines Beinahe-Vollmondes, den nicht das geringste Wölkchen verdeckte, erstaunen.
Allerdings fuhr der Zug durch eine tiefe Rinne, die von hohem, nahem Buschwerk begrenzt wurde und über der die Silhouette eines Waldes aufragte. Man befand sich somit im massiven Schattenwurf eines Mondes, den Reisiger, sein Gesicht gegen die Scheibe gedrückt, jetzt hoch oben am Nachthimmel erkannte. Und damit auch jenes lunare Purbach, welches ihn dazu verführte hatte, Bobecks Einladung anzunehmen. Durch die schmalen Schlitze seiner verengten Lider bemühte er sich jenen Punkt anzuvisieren, in dem sich die hundertachtzehn Kilometer der Purbachschen Wallebene versammelten. Das war natürlich unmöglich. Nichtsdestotrotz meinte Reisiger, diese bestimmte Region nahe des Nullmeridians – in der auch Krater wie Krusenstern, Werner und Dunati beheimatet waren – Formation für Formation zu erkennen.
Nun, es war wohl sein geistiges Auge, welches hier die Leistung vollbrachte. Jedenfalls empfand Reisiger endlich ein großes Glück, war froh um die sonderbaren Umstände, die ihn auf diesen Sitzplatz geführt hatten. Denn es ging ja nicht allein darum, den Mond zu betrachten, was er genauso gut vom Balkon seines Hotelzimmers aus hätte bewerkstelligen können. Nein, es war vielmehr dieses Gefühl, in einer Raumkapsel zu sitzen, das ihn begeisterte. Die
Weitere Kostenlose Bücher