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Der Umfang der Hoelle

Der Umfang der Hoelle

Titel: Der Umfang der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Maschinenhafte seiner Sexualität übersieht. Und zwar abseits pornographischer Vereinnahmung. Es nützt ja nichts, die Dominanz von Gefühlen und Leidenschaft zu behaupten und eine gewisse Kopflosigkeit als Indiz für ein unverwechselbares Liebesleben zu halten. Der Kuß, die erregenden Vorbereitungen, die Spielarten des Aktes, das alles sind zutiefst maschinelle und überaus einheitliche Vorgänge. In keinem Moment wie diesem gleicht der Mensch so sehr einer Apparatur, einem göttlichen Spielzeug, göttlich, aber eingeschränkt, eine künstliche Intelligenz von blecherner Körperhaftigkeit. Während hingegen alles, was davor und danach stattfindet, starke Züge des Individuellen trägt. Jeder Streit ums liebe Geld besitzt mehr Phantasie als die Versöhnung hernach im Bett. Das ist vielleicht traurig, stimmt aber trotzdem.
    Wenn nun zuvor gesagt wurde, Sex sei nichts anderes, als eine Vase auf den Boden zu werfen, die dann vielleicht zerbricht, vielleicht auch nicht, so ist eben die Art und Weise, mit der man die Vase wirft, in höchstem Maße eingeschränkt und vorgegeben. Irgendeine Freiheit im Vasenwerfen bleibt Illusion. Sex ist Programm, Ordnung, Reduktion, funktionslastiges Design, ist so schön oder so häßlich wie Fabriksanlagen, Kaffeemaschinen oder diese neuen Staubsauger, die selbständig durch Wohnungen gleiten.
    Und genau das ist ja auch der Grund, daß sich ein paar größenwahnsinnige Leute nach krassen Perversionen sehnen. Die Perversion ist der Versuch, aus dem maschinellen Prozeß auszutreten und ausgerechnet im Sex zur puren, autonomen Persönlichkeit zu finden.
    Nun, vielleicht ist es manchmal besser, ein wenig unfrei zu sein.
    Wie frei oder unfrei Reisiger auch immer war, er genoß es hörbar, als die Frau nun so vollständig wie nur möglich ihr Geschlecht über das seine stülpte und sich für einen Moment eine Geschlossenheit ergab, die einem beendeten Puzzle ziemlich nahe kam. Sekundenlang verharrten die beiden in dieser perfekten Stellung. Sodann begann die Frau, sich gewissermaßen aus dem Glied herauszuschrauben, das Puzzle zu zerstören, um sodann in ein regelmäßiges Auf und Ab zu verfallen. Dabei faßte sie Reisiger seitlich am Brustkorb, um sich in der Balance zu halten. Reisiger selbst tat zunächst nicht viel mehr, als seine Arschbacken anzuspannen, den Unterleib nach oben zu drücken, sich mit einer Hand an der Entlüftung festzuhalten und mit der anderen den Hintern der Frau nur leicht zu berühren. Er hatte seine Erregung nun soweit im Griff, nicht fürchten zu müssen, wie kochende Milch überzugehen. Er war in das gemächliche, kilometerweise organisierte Tempo eines Langstreckenlaufes übergegangen.
    Nach einiger Zeit wurde die Stellung gewechselt, nicht ohne eine gewisse Umständlichkeit, die sich aus der Enge der Verhältnisse ergab. Bald jedoch war die alte Maschinenordnung erneut hergestellt. Reisiger kniete hinter der Frau und drang in sie ein. Der Pathos der Geräusche, die die Frau dabei von sich gab, hielt sich in Grenzen. Es klang eher, als führe sie Selbstgespräche, in der Art, wie man sich angesichts eines Gemäldes überlegt, was der Künstler eigentlich sagen will. Und ob das überhaupt die richtige Frage ist.
    Eine kompakte Hitze lag jetzt im Raum. Auch ein Dampf, der von der kühlen Luft, die aus der Klimaanlage drang, in einer schwingenden Bewegung gehalten wurde. Die Luft war ein Tischdeckenmuster aus Kälte und Wärme. Nicht wirklich angenehm.
    Freilich war jetzt nur noch wichtig, den Höhepunkt zu erreichen, weil sich ab einem bestimmten Moment die Natur durchzusetzen versucht. Was jedoch gleichzeitig einen Rest von Verstand auf den Plan rief. Während Reisiger immer rascher ein- und ausdrang, dachte er an die Gefahren, die mit einem solchen ungeschützten Geschlechtsverkehr einhergingen. Denn schließlich benahm er sich wie der allerdümmste Bub, indem er mit einer Frau, von der er absolut nichts wußte, an die er bisher allein die Worte »Kleine Pause nur, bitteschön« gerichtet hatte und die ja nicht unbedingt den Eindruck vermittelte, die letzten Jahre in Keuschheit zugebracht zu haben, indem er also mit dieser Frau einen Sex hatte, den man eigentlich nur mit einer jungfräulichen Frau fürs Leben eingehen sollte.
    Dieser Gedanke drückte sich quer in Reisigers Bewußtsein und führte zu einem vorübergehenden Abfall seiner Lust. Freilich überlegte er auch, daß es möglicherweise viel zu spät sei, um sich Sorgen zu machen. Zu spät in bezug auf

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