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Der Umfang der Hoelle

Der Umfang der Hoelle

Titel: Der Umfang der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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bringen zu wollen. Die würden schon wissen, wie mit ihm zu verfahren sei.
    »Vernünftiger Entschluß«, sagte der Pfarrer. »Und da würde ich eben gerne dabeisein. Ich gestehe, ich langweile mich hier. Ich war noch nie ein großer Telefonierer.«
    Ein Pfarrer war ein Pfarrer. Eine Autoritätsperson, dessen Autorität in einem jeden Herzen oder Hirn feststeckte. Auch in dem eines Hooligans. Der Dorftrottel wagte es nicht, die Bitte abzulehnen. Um so mehr, als es keine Bitte gewesen war. Er nickte. Reisiger und Marzell traten aus dem Kreis heraus und ließen sich aus dem Saal eskortieren. Die Blicke, die ihnen folgten, waren ohne Würde, aber voll Erleichterung.
    Als die drei Männer den Salon betraten, in dem nachmittags die wahre Identität Kim Turinskys entlarvt worden war, bot sich das Bild einer simplen familiären Zusammenkunft. Jedenfalls wurden keine Augen ausgekratzt. Man saß in Polstermöbeln, Claire Rubin mit Zigarette, Siem Bobeck mit einem Glas Sherry in der Hand, trotz der Situation weit weniger verkrampft wirkend als Harald Semper und seine Kinder. Nun gut, schließlich waren Sempers hier nicht zu Hause. Auch hatte man die Pistolen wieder eingesteckt. Nur Gerda Semper stand, gegen einen Tisch gelehnt, sah jetzt zu den Hereinkommenden und fragte, was das solle.
    »Das ist der Kerl, der sich hat aufspielen müssen.«
    Gerda riß die Augen auf und fragte: »Reisiger?«
    »Herr Reisiger ist unser Gast«, erklärte Bobeck, »er hat sich tapfer und couragiert verhalten. Nur normal, daß ich ihn kennenlernen wollte. Kein Grund aber, ihn weiter in die Sache hineinzuziehen.«
    Reisiger beeilte sich zum zigten Mal klarzulegen, daß es ein purer Zufall gewesen war, daß er an diesem Tag und zu dieser Zeit durch die Fußgängerzone jenes berühmten Wintersportortes marschiert war. Er sei nicht einmal in der Lage gewesen, Claire Rubin als den Star zu erkennen, der sie für jedermann zu sein scheine. Außerdem wäre seine Courage einer bloßen Laune zu verdanken gewesen. Das würde mit Sicherheit nicht wieder vorkommen.
    »Das glaube ich auch«, sagte Gerda Semper. Und: »Gut, daß Sie da sind. Ohne Sie wär’s ja nur die halbe Sache. Aber was soll der Pfarrer?«
    Marzell ließ sich mit einem Ausdruck leiser Erschöpfung auf einem entfernten Stuhl nieder und sagte, er sei hier nicht als Priester, sondern als Zeuge. Ganz gleich, was nun geschehen oder gesprochen werde, es müsse auch jemand geben, der dies später glaubwürdig schildern könne. Und wer wollte glaubwürdiger sein als ein Pfarrer von Purbach.
    Überraschenderweise zeigte sich Gerda Semper einverstanden. Jemand Unabhängiger könne nicht schaden. Und ergänzte: »Aber ich will nicht, daß Sie reinreden.«
    Marzell zeigte auf seine geschlossenen Lippen.
    »Und du kannst gehen«, wies die Frau den Dorftrottel an, der rasch zurückkehrte zu den Gärtnern und den schmollenden Serviererinnen und der fortgesetzt telefonierenden Gesellschaft, deren verzweifelte Bemühungen angesichts einer mißtrauischen oder auch nur belustigten Außenwelt nach und nach zur eigentlichen Tragödie anwuchs. Diese beengten, ängstlichen Menschen kamen sich vor wie Schiffsbrüchige, die in nagelneuen, todsicheren Rettungsbooten saßen, nur daß niemand sie zu vermissen schien. Natürlich hatten die meisten bald kapiert, daß es am vernünftigsten gewesen wäre, wenn nur einer oder wenige von ihnen gesprochen hätten, aber das hätte bedeutet, den Anweisungen Gerda Sempers zuwiderzuhandeln.
    Und das wollte nun mal, die Pumpguns vor Augen, niemand riskieren.
    »Sie haben noch nichts versäumt«, erklärte Gerda Semper und wies Leo Reisiger mit einer dirigierenden Geste an, sich zu setzen. »Siem und die gute Claire meinen scheinbar, sie könnten bei mir mit Sturheit weiterkommen. Sie könnten das alles ganz einfach aussitzen. Aber hier wird nichts ausgesessen. Hier wird die Wahrheit ans Tageslicht geholt. Mit aller Kraft. Und egal, was das kostet.«
    »Übernimm dich nicht«, riet Claire Rubin. Sie lächelte. Aber es war ein Lächeln, in dem ein kleiner rostiger Nagel steckte. Und solche Nägel sind bekanntermaßen geeignet, Blutvergiftungen, zumindest Entzündungen hervorzurufen.
    Auch Gerda Semper lächelte. Jedoch rostfrei. Dann fragte sie, als säße man zu Gericht – und das tat man ja wohl auch –, was Reisiger denn eigentlich durch den Kopf gegangen sei, als ihm mitgeteilt worden war, daß es sich bei dem Getöteten um den Neffen Claire Rubins gehandelt habe.
    Reisiger

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