Der Umweg nach Santiago
noch irgend jemand im Namen des Königreichs kann sie zwingen, etwas derartiges hinzunehmen ... ein Achtel des Erlöses ihrer Produkte müssen sie an die Krone abführen, zu mehr können sie nicht gezwungen werden ... ausgenommen von dieser Abgabe sind frische Früchte an den Bäumen und frisches Gemüse«. Am schönsten ist vielleicht die achtzehnte Bestimmung, in der es ganz elementar heißt, »lassen die Mauren bleiben, wie sie es in der Zeit der Mauren gewöhnt waren, bevor sie das Land verließen«.
Valencia, Detail des Adelspalastes Palacio del Marqués de Dos Aguas
Fast zweihundert Jahre später, in Tudela, ernennt der König von Navarra einen Muslim, Ali Serrano, zum Notar und erteilt ihm damit die Genehmigung, »alle möglichen Verträge aufzusetzen und auszufertigen zwischen Mauren oder zwischen einem Mauren und einem Christen und auch zwischen einem Juden und einem Mauren, wie es einem Notar ansteht, der nach der sunna der Mauren von unserer königlichen Autorität bestallt worden ist ...« Ich fand diese Details in einem Buch von L. P. Harvey, Islamic Spain 1250-1500 , eines jener Bücher, die man, hat man sie erst einmal angefangen, nicht mehr beiseite legen kann, weil sie den Eindruck vermitteln, jemand hätte den Auftrag erhalten, über das Universum, Abteilung: Spanien, Epoche: damals, Buch zu führen. Nun weiß ich, daß ein falscher Zeuge nach dem islamischen Gesetz in Aragonien neunundvierzig Peitschenhiebe bekam, jemand, der ein Pferd ohne Erlaubnis des Eigentümers ritt, vier Hiebe, jemand, der einen anderen den Sohn einer Ehebrecherin nannte, ohne den Beweis dafür zu erbringen, achtzig Peitschenhiebe, und ich weiß auch, daß die Mudejaren Navarras im Dorf Ribaforada sonnabends pro Haushalt drei Eier abliefernmußten und daß die Katapulte der Christen bei der Belagerung Almerías 22 000 Steine abschossen, und all dieses verstreute, von anderen zusammengetragene und bewahrte Wissen verändert meinen Blick, wenn ich im Jahr 1991 ein Foto in El País sehe, auf dem der König von Kastilien und Navarra und Aragonien, der heute der König von Spanien ist, einen Vertrag mit dem Sultan von Marokko unterzeichnet, dessen Reich nur durch eine Handbreit Wasser von dem Al-Andalus und den Kalifaten und Emiraten von früher getrennt ist – zwei Fürsten des zwanzigsten Jahrhunderts vor einer Kulisse, die die Alhambra hätte sein können, zwei Ausläufer der Geschichte, die Hände voll mit Déjà-vu. Was ist alt, was ist neu? Weil ich an den Cid gedacht habe, habe ich an sein Epos gedacht, und weil ich an sein Epos gedacht habe, bin ich auf der Suche nach einer Buchhandlung in die Innenstadt von Valencia gegangen, in dem Gedanken (kleingläubig wie ich bin), daß ich es natürlich nie finden würde. Aber eine halbe Stunde später sitzt der Mann vom Ende des Millenniums mit dem Gedicht von etwa 1140 zwischen den weißen Tauben auf dem Platz vor der Basilika de Nuestra Señora de los Desamparados und verliert sich in einem Landstrich aus Worten, in einem Spanisch, das sich ebensowenig verändert zu haben scheint wie die Landschaften der Meseta. Er findet wieder, was er vor langer Zeit, irgendwann, in diesem Stil gelesen hat, der straff ist, beschreibend, realistisch, spanisch , nicht verlogen und mystisch wie das Rolandlied , kein hehrer Kreuzzug, sondern die Geschichte eines Samurai, eines hidalgo , der der Kaste der ricoshombres (Großgrundbesitzer, die ein eigenes Heer aufstellen konnten) nicht angehört, der seinen Besitz und seine Position nicht ererbt, sondern erworben hat, der sich durchs Leben kämpft, Geld und Macht liebt, von seinem König, Alfons VI ., zu Unrecht verbannt wird, dem maurischen Königreich Zaragoza seine Dienste anbietet, jedoch nie gegen seinen »eigenen« König kämpft, der diesem zu Hilfe eilt, als er angegriffen wird, freilich ohne daß diese Hilfe angenommen wird, bis Alfons ihn schließlich im Kampf gegen die Almoraviden braucht und seine Verbannung aufhebt.
Embraçan los escudos delant los coraçones
abaxan las lancas abueltas de los pendones
enclinaron las caras de suso de los arzones,
ibanlos ferir de fuertes coraçones.
A grandes voces llama el que en buen ora nació:
»¡ Feridlos, caballeros, por amor del Criador!«
»¡ Yo soy Roy Díaz, el Cid de Bivar Campeador!«
»Sie halten die Schilde dicht vor die Brust, sie lassen die Lanzen mit den Fahnen sinken, sie beugen die Gesichter dicht über den Sattelknauf, sie werden
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