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Der Umweg nach Santiago

Der Umweg nach Santiago

Titel: Der Umweg nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cees Nooteboom
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Essen ärmlich, Land, das da ungebeten herumliegt, träge und grau, abwesend, unwiderstehlich. Ich denke immer, daß ich hier hätte geboren werden müssen, oder daß ein ferner Vorfahre von hier gekommen ist, aber vielleicht ist es umgekehrt, und ich mußte ausgerechnet in dem sumpfigen, grünen Wasserland geboren werden, um ein Auge für die Verlockung der Härte und des Steins zu haben. Doch was darüber zu schreiben ist, ist bereits geschrieben worden:
    Encinares castellanos
    en laderas y altozanos,
    serrijones y colinas
    llenos de obscura maleza,
    encinas, pardas encinas;
    humildad y fortaleza!
    Encinas sind Steineichen, die Bäume, die man sieht, wo keine Olivenbäume gepflanzt worden sind, laderas , altozanos , serrijones und colinas sind alles verschiedene Formen von Erhebungen, Hügel, kleinere Bergzüge, Buckel, Bergflanken, allein oder aneinandergereiht; llenos heißt voll, maleza bedeutet Strauchgewächsoder Ackerunkraut, es klingt düster und böse, dieses Wort; pardas ist grau im Plural Femininum, humildad so demütig, wie es klingt, und fortaleza so stark wie ein Fort, und aneinandergereiht, wie Antonio Machado es hier getan hat, ergeben diese Worte einen Singsang, der verlorengeht, wenn ich sie zu übersetzen versuche. Aber es ist, was ich rings um mich sehe, die Steineichen mit ihren harten, staubigen Blättern, allein oder in Gruppen auf den Wogen der Landschaft. Demütig sind sie, aber stark, sie ertragen alles. »Die Landschaft selbst hat sich in dir zum Baum gemacht«, sagt er ein Stück weiter in diesem Gedicht und beschwört Landschaften von Sommer und Winter, beißender Sonne und eisiger Kälte, bochorno y borrasca , glühender Hitze und wilder Stürme – immer wird die graue Steineiche sie selber bleiben und wie ein sombra tutelar , wie ein schützender Schatten, über die Landschaft wachen, ein Baum für den Reisenden, der sein Auto abgestellt hat, sich in das Bett aus Schatten und trockenen Blättern gelegt hat und dieser fast wortlosen Stimme lauscht.
    1991

V ON L ORCA NACH Ú BEDA , T RÄUME EINES N ACHMITTAGS
    Todo lo corren los moros,
    sin nada se les quedar;
    el rincón de San Gines
    y con ello, el Pinatar.
    Cuando tuvieron gran presa
    hacia Vera vuelto se han,
    y en llegando al puntarón
    consejo tomado han
    si pasarían por Lorca,
    o se irían por la mar ...
    »Alles überrennen die Mauren / Nichts bleibt verschont. / San Gines wird eingenommen, / Desgleichen el Pinatar. / Die Eile, die sie haben, / Treibt sie sodann nach Vera. / Auf dem Hügel angekommen, / Halten sie mit sich Rat, / Ob Lorca das nächste Marschziel / Oder gleich das Meeresgestad ...« 1452 wurde die Schlacht von Los Alporchones ausgetragen, und etwas von der rasenden Geschwindigkeit dieses Feldzugs hat sich in der Kadenz der jagenden Sätze aus dem Romancero fronterizo erhalten, dem großen Buch der Romanzen aus dem Grenzgebiet, die mit soviel Punctum und Pathos das letzte Jahrhundert der Reconquista beschreiben. Ich lese sie hier, im Hotel Alameda in Lorca, und alles, was Ortsname ist, finde ich auf der Karte wieder, die Städte, die Berge, die Pässe, wie ich auch die Landschaften wieder finden werde, durch die die Heere in ihrer ewigen Umarmung zogen. In der Zeit, in der ich lebe, befinde ich mich noch immer auf dem Weg nach Santiago, manchmal kommt es mir vor, als wäre das Ziel so nebelhaft geworden wie der ferne nördliche Landstrich, in dem diese Stadt liegen muß, grün, neblig und so völlig anders als die Zeit und der Ort, da ich dies lese. Hier sengt die Julisonne wie damals, und das Damals der Romanzen war das Ende von etwas, das siebenhundert Jahre zuvor in den nebligen Regionen Asturiens und Galiciens begonnen hatte, die allmähliche Rückeroberungdes Landes, das heute Spanien heißt, und meine Bewegung läuft der der Mauren in dem Lied entgegen: Ihr verzweifelter Ausfall richtete sich nach Norden und Osten, zum Meer hin, ich wende mich vom Meer ab und suche den Brand des Binnenlands auf, nach Vélez Rubio und Vélez Blanco, Rot-Vélez und Weiß-Vélez, werde ich fahren und dann auf skurrilen Umwegen durch die Llanos de Orce und über Huéscar und durch die Sierra de Marmolance und dann hinauf und hinunter durch die Berge von Cazorla und am Guadalquivir entlang zum schloßartigen Úbeda.
    Kalkiger, versteinerter Boden, eingestürzte Schuppen aus Lehm, Felder mit gebleichten Weizenstoppeln, zerklüftete Berge in der Ferne, Stunden, in denen man kaum jemand sieht, wenn man anhält, hört man die

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