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Der Umweg nach Santiago

Der Umweg nach Santiago

Titel: Der Umweg nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cees Nooteboom
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Stille rauschen. Wage es keiner, von Eintönigkeit zu sprechen, denn noch am selben Tag sieht man Bahnen aus purem Gold, die sich bis zum Horizont erstrecken, sieht man, wie Stiere sich an sumpfigen Ufern suhlen, sieht Oasen mit kleinen Gehöften, die so weiß gekalkt sind, daß man ohne Sonnenbrille nicht hinschauen kann, der Weg, den man fahren muß, besteht aus närrischen Schlenkern zwischen Hunderttausenden von Olivenbäumen, der Traum eines Verrückten, wenn man hier lange genug fährt, ist man dankbar für ein Getreidefeld oder eine einzelne Pappel. Wer hier lebt, muß diesen Landschaften verfallen sein wie ein Seemann dem Meer, nach Stunden kann man es fast nicht mehr aushalten, die Hitze verschärft die Ekstase noch, Disteln benehmen sich wie Orchideen, und gerade als man glaubt, das Auge könne soviel Leere nicht mehr ertragen, passiert es: Der Weg, dem man, links und rechts begleitet von festungsartigen Tafelbergen, stundenlang gefolgt ist, macht eine schwache Biegung, die Landschaft verändert sich, der Weg senkt sich zu etwas hinab, das ein Tal sein muß, dessen Fluß jedoch tief versteckt oder eingetrocknet ist. Die Augen schmerzen bereits seit Stunden vom Licht, der Boden, dessen Farben man nicht mehr benennen kann, weil man es schon zu oft versucht hat, der aber jedenfalls die Farbe von Erde hat, weil die Verlockung anderer,wollüstigerer Farben durch die Art des Ortes oder der Jahreszeit entfallen ist, scheint nach allen Richtungen hin weiterzugehen, soweit das Auge reicht. Und dann, erst noch wie eine Form der Landschaft selbst, dann wie ein vorzeitliches großes, totes Ding, liegt irgendwo auf einem Hügel oder an einer Bergwand, getarnt mit den Farben der Gesteinsart ringsum, eine Burg, ein Kastell, ein Fort, geöffnet von Wind und Zeit, kahl, ausgehöhlt, oder verschlossen, ohne Zähne oder Augen, so undurchdringlich wie das Gesicht eines Toten. Sie sind zu groß für unser Maß, in ihrem Umkreis ist kein oder fast kein Leben, das sie rechtfertigt, es sind Relikte aus einer Zeit, in der die Menschen viel größer gewesen sein müssen, aber das waren sie nicht.
    Vélez Blanco. Es ist wahrscheinlich die falsche Jahreszeit für einen Besuch, denn dies ist eine der Kornkammern Spaniens. Man weiß es und kann es doch kaum glauben. Der Gedanke an wogendes Getreide ist verflogen, das Land hat sich als Wüste verkleidet, und obendraufliegt trutzig das Kastell, ein schroffes, maurisches Rechteck, durch eine hohe Brücke mit einem scharflinigen, massiven Polygon verbunden, hoch und steil, weiß im Mittagslicht. Ein kleines Auto steht davor, also muß ein Wächter dasein, doch ich sehe niemanden, wahrscheinlich schläft er irgendwo, nur ein Idiot ist zu dieser Stunde auf den Beinen. Einst soll es hier ein herrliches bronzenes Renaissancetor gegeben haben, aber ein später Nachfahre der Markgrafen von Vélez hat Tor und marmornen Innenhof verkauft. Wer diesen Marmor noch berühren will, muß dafür ins Metropolitan Museum in New York, nur wird er dann nie sehen, was ich hier von den Zinnen aus sehe, ein Dorf, das sich an den Berg drückt wie ein Schwalbennest, einen verlassenen Platz, ein Haus, das in den Felsen verschwindet, ein Kind, das viermal aus dem Haus kommt, um an der Pumpe Wasser zu holen, die roten Dächer, die ineinander übergehen, so daß es scheint, als wohnten alle Menschen unter einem großen Dach, eine Gemeinschaft.
    Der Innenhof ist hoch und leer, violette Blumen wachsen hier, deren Namen ich nicht kenne, später werde ich eine vertrocknetin meinem Notizbuch finden und mir nicht mehr vorstellen können, wie grell sie dort vor den blinden Mauern loderte. Ich klettere zum Turm hinauf, stehe in einem der Gucklöcher, die von außen wie leere Augenhöhlen aussahen, und sehe von dort eine kleine Oase am Fluß, dahinter jedoch die Straße wie eine steinerne Spur. Leer, nichts, draußen und drinnen, ein ausgeschliffenes Gebiß. Innerhalb der Mauern wird man noch zwergenhafter, man fragt sich, was man eigentlich sucht, wie das Gefühl zu benennen ist, das man dort hat. Ein suspektes Gefühl, das auf jeden Fall. Ortega y Gasset schildert es in seinem Essay Ideen der Burgen und kommt zu einem Schluß, den ich dort, auf jenem Turmumgang, nicht nachempfinden konnte: »Im ersten Augenblick erschienen die Burgen uns als Symptome eines Lebens, das uns im tiefsten fremd ist. Wir schreckten vor ihnen zurück und suchten Zuflucht bei den antiken Demokratien, die wir unseren ormen des öffentlichen Lebens

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