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Der Umweg nach Santiago

Der Umweg nach Santiago

Titel: Der Umweg nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cees Nooteboom
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Menschen in Togen und Tuniken, und der Besitzer dieses Auges, also ich, träumt von einer Möglichkeit, sie wirklich zu sehen, Römer in einer westlichen Provinz, vor zweitausend Jahren. Umgeben von ihren Schemen bleibe ich da sitzen, bis die Wächter in der Ferne rufen, daß die Tore geschlossen werden, und ich zögernd an den verbliebenen Mosaiken vorbei hinausgehe. Drei fröhliche, eifrige Männer stampfen, in kleine Steinchen gelegt, die Trauben nach der Weinernte. Steinerne Männer, steinerne Trauben, steinerner Saft, der in runde Krüge fließt. Danach wird es gären, und mit meiner steinernen Hand werde ich in diesem Mosaik den steinernen Wein zum Mundführen, einem Mund wie dem ihren, aus kleingehackten dunkelrosa Steinchen, und in versteinerter Trunkenheit werde ich sie sehen, die naumachiae , Seeschlachten mit bemannten Kriegsschiffen, echte Schiffe mit echtem Wasser, auf inzwischen ausgetrockneten Kanälen herangeführt, ausgetrocknet, aber erhalten, wie die Käfige für die wilden Tiere, die Unterkünfte für die Gladiatoren, die Spuren der Rennbahn. Ich lege den Finger in die Vertiefungen, die zusammen Caesars Namen bilden, und will ausrechnen, wie lange es her ist, als ich seine Militärprosa lesen mußte, aber da klingeln und rufen die Wächter, daß das Jüngste Gericht begonnen hat, und vertreiben mich aus dem Paradies.
    Mérida (Photo: Eddy Posthuma de Boer)
    Trujillo, Mérida, Sevilla. Andalusien hat mich an sich gesaugt, zeigt sich aber von der härtesten Seite, es ist über vierzig Grad heiß. Wer keinen Schnee bekommt, wird ihn sich machen, ein weißeres Weiß als die Häuser von Zafra, Llerena habe ich nirgends gesehen, ich habe die Große Stadt umfahren, mitten in das weiße Spinnennetz von Arcos de la Frontera hinein, alles gefroren vor Hitze, der gehärtete Schnee der Iglus erfüllt von harten spanischen Lauten, ich bin durch die Tiefebene des Guadalquivir bis nach Cádiz gefahren.
    Dort regierten der Sonntagnachmittag, die Palmen, das Seufzen des Ozeans, die Nähe Afrikas. Mattigkeit herrschte dort, graue Kriegsschiffe hingen im besiegten Wasser, nichts rührte sich, Abschied von Europa. Ich versuche mich zu erinnern, wann ich schon einmal hier war, erinnere mich an eine Militärprozession, schlurfende Stiefel, eintönige Trommeln, goldene, heilige Gegenstände ins Sonnenlicht gehoben, aber diese Erinnerung ist glänzend, die Stadt, in der ich damals war, besaß eine Glut, die ich jetzt nicht mehr finde.
    Ich gehe am Boulevard unter einem so großen Ficus hindurch, daß er Hunderten unter seinem Blätterdach Platz böte. Männer hängen auf den gefliesten Bänken und lauschen einem Fußballspiel. Das Regimentsgebäude der Artillería ist leer, die Scheiben fehlen, drei einsame kleine Segelboote schwimmen in der Ferne, wo es kühl sein muß, und dann fahre ich nach Sevilla zurück,alein, vor dem Strom der Badegäste wieder in die Hitze hinein, die auch abends nicht weicht, sondern in den großen Parks mit den Frangipani, in den kleinen Patios, vollgestellt mit immer wieder gegossenen Blumen, in den weißen Gassen zu stehen scheint. Zigeuner klatschen die Hitze und die Stille in Stücke, Klagen, langgedehnte Tonfolgen, Fächer, Mantillas, wirbelnde Stakkatos mit den Schuhen, gequälte Gesichter und dieses irrsinnige Gefühl: daß an manchen Orten der Erde etwas nur deinetwegen bewahrt wird, um dir bei deiner Erinnerung zu helfen. Du brauchst nur hineinzugehen, um diese Musik wieder zu hören, diesen Ausdruck zu sehen, diese langen, maurischen, schreienden Töne, die zuckenden Tänzerinnen, alles vielleicht falsch und doch echt, Klänge, bei denen dieser untere Teil Europas wie ein Stück Fahnentuch abgerissen wird. Die Worte sind so langgedehnt, daß es Klänge geworden sind, der ruckende Tanz wirkt wie ein Martergang, die Gitarren schöpfen ihre Klänge aus einer Erinnerung, die nicht die meine ist, die mir nur zuweht von einem anderen, längst vertriebenen Erdteil. Auch am nächsten Tag habe ich dieses Gefühl, als ich aus dem kühlen Foyer meines Hotels nahe der Kathedrale von laut blökenden Jungenstimmen und dem harten, dumpfen Dröhnen einer Trommel hinausgelockt werde.
    Was für ein Anblick: Das erste, was ich sehe, ist eine riesige Platte, unter der sich vier mal vier Füße bewegen. Darüber liegt ein blutfarbenes Tuch mit einem großen schwarzen Kreuz, worüber kokett, flott, ein weißer Schal hängt. Kastagnettengeklapper setzt ein, übertönt das Getrommel, aber woher es stammt,

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