Der Umweg
auch?«
»Ja. Du wohnst jetzt hier, meine Schafe weiden auf dem Land, das du gemietet hast. Die Abmachung bleibt dieselbe.«
»Und wenn ich kein Lamm mag?«
»Kriegst du’s trotzdem. Ich kann dir kein Schweine- oder Rindfleisch liefern.« Er schaute sie an. »Zwartbles. Sehr schönes Fleisch.«
»Bitte?«
»Es sind Zwartbles-Schafe, eine friesische Rasse. Aus deinem Heimatland.«
Sie blickte auf das Stück Torte und wußte, daß sie es nicht essen würde. Nie mehr eine Verabredung mit diesem Mann um neun Uhr morgens, dachte sie. »War diese Frau Evans eine Verwandte von Ihnen?«
»Nein.«
»Warum wird das Haus nicht verkauft?«
»Sie hatte niemanden. Ich habe einen befreundeten Makler gebeten, das Haus zu vermieten.«
»Damit Ihre Schafe weiter hier weiden können.«
»Auch deshalb.« Er schlürfte den Rest seines Kaffees. »Jetzt wird nach Angehörigen gesucht. Das kann natürlich eine Weile dauern.«
»Noch Kaffee?« fragte sie.
»Gern.« Er rutschte auf seinem Stuhl etwas nach vorn, lehnte sich zurück und streckte die Beine aus. »Ich hab für das Begräbnis gesorgt.«
»Gehören die Gänse auch Ihnen?«
»Nein. Die gehörten der Witwe Evans.«
»Also jetzt mir?«
»Ja. Mehr oder weniger.«
Sie würde aufstehen müssen, um seinen Becher vom Tisch zu nehmen, würde damit zur Anrichte gehen müssen. Sein Blick ließ sie nicht los, als wollte er ihre unangenehme Lage auskosten. »Mehr oder weniger«, sagte sie. »Was heißt das?«
»Es sind gemietete Gänse. Sie sind nicht dein Eigentum. Ich würde sagen, eine gemietete Gans darf man nicht als Weihnachtsgans in den Ofen schieben.«
Sie stand auf und sah ihm dabei fest in die Augen, damit er nicht in Versuchung kam, den Blick abwärts gleiten zu lassen. Es funktionierte; erst als er ihr den Becher reichte, schaute er auf ihre Hüften. Sie stellte den Milchtopf noch einmal auf die Kochplatte und starrte wieder auf das Gras hinaus, das schon nicht mehr so naß zu sein schien. Wie gern wäre sie jetzt da draußen gewesen, hätte mit dem Spaten hantiert, am Weg entlang Bindfaden gespannt. An einer Schrankwand gearbeitet, bildlich gesprochen. Die drei blühenden Pflanzen auf der Fensterbank brauchten Wasser. Sie war entsetzlich müde, und beim Schlagen der Milch hatte sie plötzlich ein taubes Gefühl im Arm. Aber ein tauber Arm war längst nicht so schlimm wie das Gespräch mit einem Mann, der anscheinend nur gekommen war, um seine Verfügungsgewalt über dieses Haus und das dazugehörige Land zu demonstrieren.
»Ich hab übrigens nur noch sechs gezählt.«
»Was?«
»Sechs Gänse.«
»Sie haben meine Gänse gezählt?«
»Klar.«
Jetzt reicht’s mir aber bald, dachte sie.
»Die Witwe Evans hat gut für sie gesorgt. Hat ihnen immer Brot gegeben.«
Sie füllte den Becher mit Kaffee und Milch und schätzte, wie lange er brauchen würde, um ihn leer zu trinken. Es war ihr schon ganz egal, was er von ihr sah; als sie ihm den Becher gegeben hatte, raffte sie beim Hinsetzen sogar das Schlaf-T-Shirt ein wenig hoch. Er begann sofort zu trinken und bewegte mit der freien Hand den Schlüssel auf dem harten Umschlag der Landkarte hin und her. Sie schob den Tortenteller weg. Sagte nichts mehr.
»Es ist also ein Übergangsstadium. Das Haus ist bewohnt. Du bist zufrieden, ich bin zufrieden, der Makler ist zufrieden. Aber es kann sich jederzeit ändern.« Er beugte sich vor und zog ihren Teller zu sich heran. »Darf ich?«
Sie antwortete nicht. Er aß trotzdem ihr Stück Torte auf. Sie ekelte sich, immer dieser kaputte Nagel vor seinem kauenden Mund. Schweigend beobachtete sie, wie er den Kaffee in sich hineingoß. Dann stand sie auf. Sie wußte nicht, was sie sagen sollte, vielleicht begriff er ja auch so, daß er nun lange genug in ihrer Küche gesessen hatte. Sie zeigte auf den Durchgang von der Küche zum Wohnzimmer.
»Ja, ich bin dann mal wieder weg.« Er stand auf und ging langsam in Richtung Wohnzimmer. »Praktisch«, sagte er. »Daß die Möbel noch da sind.«
»Wie kommt es, daß im Schlafzimmer kein Bett steht?«
»Das hab ich mitgenommen.«
»Und die Uhr?«
»Die alte Frau konnte wirklich auf keine Trittleiter mehr steigen. Also hab ich von Zeit zu Zeit die Batterie ersetzt.«
Daß er auf Socken ging, freute sie. Einen Mann auf Socken, vor allem, wenn sie löchrig waren, konnte man kaum ernst nehmen.
An der Haustür drehte er sich um und musterte sie noch einmal von Kopf bis Fuß. »Verletzt?« fragte er.
»Von einem Dachs
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