Der Umweg
mich gekauft hast.«
»Bitte?«
»Wer kommt sonst hierhin?« Er drückte das Päckchen. »Fühlt sich an wie Socken.«
»Legen Sie es zurück.«
»Ist es denn nicht für mich?«
Ich könnte ein Messer nehmen, dachte sie. Notfalls den schweren Stieltopf. »Nein.«
»Du wohnst allein hier, oder? Hast du das nicht dem Makler gesagt, als du den befristeten Mietvertrag unterschrieben hast?« Er betonte das Wort provisional .
»Herr Jones.«
»Sag doch Rhys.«
»Herr Jones, würden Sie bitte so freundlich sein, dieses Päckchen wieder an seinen Platz zu legen.«
»Okay, okay, wenn es dir so wichtig ist …« Er stand auf und legte die Mütze unter den Baum. Dann richtete er sich auf, drehte sich um und ging ins Wohnzimmer. Sie hörte ihn die Haustür öffnen.
Sie blickte sich um. Für einen Augenblick war die Küche sicher. Die drei blühenden Pflänzchen auf der Fensterbank, der Kaffeetopf auf dem Herd, der Weihnachtsbaum. Trotzdem warf sie einen Blick in den Besteckkasten, ins große Fach. Die Haustür wurde geschlossen. Rhys Jones trug eine Plastikkiste in die Küche. Sie schaute auf seine Füße, und während sie das tat, fiel ihr ein, was an ihm anders war: Sein dickes, fettiges Haar war um einiges kürzer als sonst, zum ersten Mal hatte sie seine Ohren gesehen.
»Lamm«, sagte er. Er stellte die Kiste auf den Tisch.
Sie schaute hinein. Ein paar Brocken Fleisch von ziemlich dunkler Farbe. Sie faßte sich an den Hals. »Ist das ein ganzes Lamm?«
»Nein. Ein halbes.«
»Ein halbes?«
»Eigentlich hatte ich dir ein Viertel geben wollen, aber dann hab ich mir gesagt, Hand aufs Herz, das ist doch zu wenig.« Dabei legte er ihr die Hand auf den Hintern, als wäre der das erwähnte Herz. Oder eine Lammkeule.
Sie stieß die Hand nicht weg, es war die mit dem eingerissenen Nagel. Sehr ruhig trat sie einen Schritt zur Seite, so daß die Hand ihren Halt verlor, und ging um den Tisch herum. Jetzt stand sie dem Schafzüchter gegenüber. »Nehmen Sie es bitte wieder mit.«
»Ist es nicht gut genug?«
»Was wollen Sie eigentlich?«
»Ich bringe dir ein paar Lammkeulen. Völlig kostenlos.«
»Ich möchte sie nicht. Ich ekle mich vor Lammfleisch.«
»Das ist schade, aber ich lasse sie trotzdem hier. Ich habe damit meinen Teil der Abmachung erfüllt.«
»Dann können Sie jetzt wieder fahren.«
»Du siehst ganz anders aus als beim letzten Mal«, sagte er.
»Dann können Sie jetzt wieder fahren.«
»Bist du beim Friseur gewesen? Bei Shirley?«
Sie stützte sich mit den Händen auf die Rückenlehne eines Stuhls. Shirley. Der Hausarzt, der Mann ihr gegenüber, das Bäckerehepaar. Hier kannte jeder jeden. Nur Bradwen gehörte nicht dazu. Wo blieb er eigentlich? Aber er hatte ja zuerst den Weihnachtsbaum geschmückt, also konnte es noch eine Weile dauern, bis er wiederkam. Sie schaute auf die Uhr. Kurz vor halb eins. Ich muß etwas tun, dachte sie. Egal, was. Sie ging ins Wohnzimmer und öffnete die Ofentür. Warf zwei Holzscheite ins schwelende Feuer und schob sie mit dem Schürhaken ein paarmal hin und her, dabei war ihr bewußt, daß sie Rhys Jones jetzt den gebeugten Rücken zuwandte. Sie fühlte sich stark.
Der Schafzüchter war ihr nachgegangen, er saß schon breit auf dem Sofa, einen Arm auf der Rückenlehne. »Bekomme ich keinen Kaffee?« fragte er. »Dachsfrau?«
»Was sagen Sie?«
»Dachsfrau, sage ich.«
»Sie bekommen keinen Kaffee. Sie können jetzt fahren.« Sie blieb am Ofen stehen, legte den Schürhaken nicht in den Holzkorb zurück.
»Mein Freund, der Makler, hat angerufen.«
Sie schaute auf seine Socken.
»Er hat einen Großneffen ausfindig gemacht. Wohnt in England. Der Mietvertrag wird nicht verlängert.«
Sie wechselte den Schürhaken in die andere Hand.
»Weil mein Freund ein netter Kerl ist und er auch weiß, daß der 1. Januar reichlich knapp wäre, hast du bis 5. Januar Zeit, deine Sachen zu packen. Wir kommen aber am Neujahrstag mal vorbei, um zu sehen, in welchem Zustand das Haus ist.«
»Kein Problem.«
»Nein?«
»Nein. Nichts von dem alten Krempel hier gehört mir. Ich brauche keinen Möbelwagen.« Sie schaute aus dem Fenster, es war, als hätte sie gespürt, daß Bradwen genau in diesem Moment an der Gartenmauer auftauchen würde. Er sprang diesmal nicht, er kletterte. Sam sprang, er landete neben den Erlen- und Eichenästen, anscheinend hatte er sich genau gemerkt, wo sie lagen. Seltsam, daß er von dieser Seite kommt, dachte sie. Der Junge ging über den schneebedeckten
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