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Der Umweg

Der Umweg

Titel: Der Umweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerbrand Bakker
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Rasen und blieb vor dem ersten umgegrabenen Stück Erde stehen. Sie überlegte, ob er sie sehen konnte. Das Wohnzimmer war ziemlich dunkel, es hatte nur dieses eine Fenster, aber die Stehlampe brannte wie jeden Tag. Bradwen gab Sam einen Befehl, er lief zu ihm zurück und setzte sich direkt neben sein Bein, der Hund war jetzt teilweise von Rosensträuchern verdeckt. Wieso bleibt er stehen? dachte sie. Sieht er von da aus den Wagen von Rhys Jones? Und wenn, was spielt das für eine Rolle?
    »Du hast also genug Zeit, die Lammkeulen zu essen.«
    »Ich esse kein Lamm.«
    »Ganz wie du willst. Die Witwe Evans hat sehr gerne Lamm gegessen. Sie ist damit dreiundneunzig geworden.« Er schaute sie an. »Warum bleibst du da stehen. Setz dich einen Moment hier aufs Sofa.«
    »Es ist Zeit, zu gehen«, sagte sie. »Sie haben Ihren Teil der Abmachung erfüllt, und Sie haben die Nachricht überbracht.«
    »Ich habe noch nicht erzählt, wie die Witwe Evans gestorben ist.«
    »Das interessiert mich nicht, ich habe die Frau nicht gekannt.«
    »Ich glaube, es würde dich interessieren.«
    Im Augenwinkel sah sie Bradwen immer noch am selben Fleck stehen. Sie schüttelte den Kopf, fragte sich, ob der Mann auf dem Sofa wirklich so primitiv denken konnte. Er Witwer, sie anscheinend ohne Mann. What’s holding us back? Der Junge bewegte den Arm, war das eine Reaktion auf ihr Kopfschütteln? Sie hob den Schürhaken, ohne zu wissen, was genau sie damit ausdrücken wollte. »Zigaretten«, sagte sie.
    »Was?«
    »In der Küche liegen meine Zigaretten.« Sie ärgerte sich, daß sie nicht ohne Begründung in die Küche ging. Die Küche des Hauses, das bis zum 5. Januar ihr Haus war. Sie trat ans Fenster und gab Bradwen mit Gesten zu verstehen, daß sie herauskommen würde, legte den Schürhaken auf den Tisch und zündete sich eine Zigarette an. Dann ging sie direkt zur Haustür und öffnete sie. Sam hielt es nicht mehr aus, er sprang auf und rannte bellend auf sie zu. Der Junge ließ den Hund gewähren, er rief ihn nicht mehr zurück.
    Rhys Jones stand erstaunlich schnell vom Sofa auf. »Sam?« sagte er.
    Der Hund schwenkte ein klein wenig ab, rannte an ihr vorbei zu dem Schafzüchter und sprang ihm in die Arme.
    Rhys Jones schwankte.
    Sie schaute den Jungen an. Dann blickte sie von Bradwen zu dem Schafzüchter, dessen Augen wäßriger aussahen als sonst.
    Sam schnaubte und leckte und bellte.
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    » Hello, dad «, sagte Bradwen.
    Rhys Jones erwiderte den Gruß nicht, er stellte den Hund auf den Boden. » Stay «, sagte er. Auf der Stufe vor der Tür standen seine Holzschuhe, die Spitzen vom Haus abgewandt, er konnte einfach hineinschlüpfen. Dabei hielt er sich mit einer Hand am Türpfosten fest. Der Hund blickte zu ihm hinauf, er hechelte aufgeregt. Jones schaute Bradwen nicht an, ging auf dem Schiefersplittweg zu seinem Wagen, der neben dem Haus stand; die vordere Stoßstange berührte fast den alten Schweinestall. Er öffnete die Beifahrertür. »Sam«, rief er. Der Hund – der versucht hatte, um die Ecke zu schauen, nervös, mit schiefem Kopf – schoß aus dem Haus und sprang in den Wagen, treffsicher, ein Sprung, den er schon sehr oft gemacht hatte.
    Auch sie hatte das Haus verlassen, auf Socken. Eine Art Dreieck war entstanden. Rhys Jones am Auto, Bradwen neben dem künftigen Rosenbeet und sie vor der Tür. Es war nicht mehr so kalt, von ein paar Rosenblättern tropften letzte Reste Schnee.
    »Diese Socken sind also für dich?« sagte der Schafzüchter. Es war weniger eine Frage als eine Feststellung. Er war um den Wagen herumgegangen, hatte schon die Fahrertür geöffnet.
    »Socken?« fragte Bradwen.
    Sie schaute abwechselnd den Jungen und den Mann an. Wenn Bradwen ein Turner ist, dachte sie, ist Rhys Jones ein Judoka, der vor zwanzig Jahren, ohne abzutrainieren, aufgehört hat. Sie inhalierte sehr tief und blies den Rauch aus, der dick war in der feuchten Luft. Rhys Jones stieg in den Wagen und ließ den Motor an. Sam saß neben ihm, er schaute wachsam geradeaus, die Zunge hing ihm aus der Schnauze. Ein Hütehund. Froh, bei seinem richtigen Herrn zu sein, dem Alpha-Männchen. Auf einmal wurde ihr klar, warum der Hund so oft zu ihr gekommen war, warum er schon am ersten Tag bereitwillig seinen Wachplatz vor der Badezimmertür verlassen hatte: Sie stand auf der gleichen Stufe wie der Junge. Der schwarze Wagen, tatsächlich einer mit Ladepritsche, fuhr rückwärts und verschwand aus ihrem Blickfeld. Sie sah die Ablage unter dem Spiegel vor

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