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Der Umweg

Der Umweg

Titel: Der Umweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerbrand Bakker
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hatte eine tiefere Bedeutung, in jede Abbildung konnte man irgend etwas hineininterpretieren. Zwei Karten kamen schließlich in die engere Wahl, die eine mit einem Nilpferd und die andere mit einem Hund. Er zog die mit dem Hund aus dem Ständer, vor allem, weil sie nie einen Hund gehabt oder gewollt hatte und weil man das Nilpferd falsch verstehen konnte. Eine neutrale Karte. Beim Bezahlen dachte er gerade noch rechtzeitig an Luftpost-Aufkleber und Briefmarken.
    Der Student. Sie hatte es ihm selbst erzählt, sehr ruhig. Hier, in diesem Wohnzimmer, an einem Sonntag abend. Er
     war gerade von einer Runde Laufen zurückgekommen, hatte noch nicht geduscht. Es sei längst wieder vorbei, sagte sie. Und fügte hinzu, daß es der
     eigentliche Grund für ihre Entlassung gewesen sei. Beim Joggen hatte er den Herbst gerochen, sich auf Läufe im Nieselregen gefreut. Die
     Herbstwettkämpfe. Schwitzend, die Brust noch geweitet, stand er im Zimmer. Hörte ihre nüchterne Beichte an, so ruhig wie sie. Inzwischen wußte er, daß sie
     ihm etwas anderes verschwiegen hatte. Eine Woche lang waren sie sich aus dem Weg gegangen, dann verschwand sie. Zwei Tage später fiel ihm eine leere
     Stelle im Wohnzimmer auf. Nach einer Runde durchs Haus, bei der er feststellte, daß noch mehr Dinge fehlten, fand er in einer Schublade ihres
     Schreibtischs ein paar Zettel mit dem Text Our »respected« Lecturer Translation Studies screws around. She is in no way like her beloved Emily
Dickinson: she is a heartless Bitch . Danach hatte er angefangen, sie zu suchen. Er ging zu seinen Schwiegereltern, fuhr zur Universität. Einen Zettel fand er noch, im hintersten Winkel der Abteilung, und war sich nun sicher, daß im ganzen Gebäude solche Zettel gehangen hatten. In ihrem Büro, das nicht abgeschlossen war, obwohl sich niemand darin aufhielt – vertrauensselig, diese Akademiker –, versuchte er sich endlich den Studenten vorzustellen, einen Jungen, der wahrscheinlich auch hier drin gewesen war, dessen Namen er nicht einmal kannte, der vielleicht hier seine Hose hatte fallen lassen. Diese Vorstellung versetzte ihm einen Stich. Nicht der Gedanke an seine Frau, nein, ein Phantasiebild von dem Jungen. Ohne wirklich zu wissen, was er tat, zerriß er ein paar Bücher, warf die Fetzen unter einen Schreibtisch, veranstaltete mit Hilfe von Streichhölzern, die er in einer Federschale fand, eine Bücherverbrennung. Als die Flammen unerwartet schnell um sich griffen und er die Hitze schon im Gesicht spürte, hatte er die Tür aufgerissen und »Feuer« gerufen. Er war verwirrt, das ja, aber kein Pyromane.
    Lange betrachtete er den Hund auf der Karte. Das Tier konnte ihm nicht sagen, was er schreiben sollte. Eine Gruppe von Radfahrerinnen kam vorbei, kichernde Mädchen, die von einer Straßenseite zur anderen schlingerten, Handys im Anschlag. In dem kleinen Park am Rand seines Wohnviertels kreischten Halsbandsittiche. Es machte ihm nichts aus, allein im Haus zu sein. Ein Glas Rotwein stand vor ihm auf dem Couchtisch. Er fühlte sich ruhiger, entspannter. Von der Bruna-Filiale war er zum Blumenstand gehumpelt, einen großen Strauß gelber Tulpen hatte er sich gekauft. Nicht Weihnachten, Frühling. Auch die Frühjahrsläufe waren schön, darauf mußte er sich jetzt einstellen. Er sah sich allein das Haus verlassen, allein zurückkommen, kein »Hallo« oder »Tschüs«, kein Seufzen. Den Umschlag hatte er schon beschriftet und zwei Marken darauf geklebt; im Laden hatte er nicht an den Unterschied zwischen Inlands- und Europa-Porto gedacht. Nun noch ein Text. Was hatte er ihr zu sagen? Um ganz ehrlich zu sein: nicht viel. »Ich komme«, schrieb er, darunter seinen Namen. Schnell steckte er die Karte in den Umschlag, beleckte die Lasche und drückte sie fest. Anschließend trank er den Wein aus und rief den Polizisten an.
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    Bradwen mußte mit diesem Herd schon viel länger vertraut gewesen sein, so routiniert ging er mit allem um. Die Lammkeule, die er in den Backofen geschoben hatte, tatsächlich mit Knoblauch und Anchovis gewürzt, durfte er allein essen. Schon wenn sie daran dachte, wurde ihr übel. Woher kam eigentlich diese Dose Anchovis? Hatte er sie in den vergangenen Tagen gekauft? Sie zündete sich eine Zigarette an. Das Päckchen unterm Weihnachtsbaum konnte er nicht übersehen haben, vielleicht freute er sich darauf, wie sie sich früher auf Nikolausgeschenke gefreut hatte, begierige Blicke hatte sie darauf geworfen, mußte aber warten, bis ihr jemand

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