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Der unausweichliche Tag - Roman

Der unausweichliche Tag - Roman

Titel: Der unausweichliche Tag - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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taub wurden. Dann stand sie auf und humpelte in ihr Zimmer und legte sich hin, denn sie konnte sich einfach nicht mehr aufrecht halten. Sie deckte sich mit dem Laken und der blauweißen Überdecke zu und schloss die Augen.
    Sie wusste, dass Weinen zu den Dingen gehörte, die sie tun sollte, aber das erschien ihr wie eine unzumutbare Forderung, wie eine dieser albernen, unsensiblen Forderungen, die Lal hätte stellen können – Lal oder irgendeine fremde Person, die sie nicht richtig kannte und sie auch nie kennen würde, die nie und nimmer wissen konnte, wie es sich anfühlte, Veronica Verey zu sein und weiterleben zu müssen …
    Sie fragte sich tatsächlich, ob sie jemals wieder etwas anderes tun würde, als in ihrem Zimmer in Les Glaniques zu liegen. Einfach dazuliegen, unfähig, sich zu bewegen, wie jemand in einem grässlichen Stück von Samuel Beckett, in dem nie auch nur irgendetwas passierte. Das kam ihr sehr wahrscheinlich vor.
    Sie versuchte, sich all die Dinge vorzustellen, die sie tun könnte , aber nichts davon lockte sie. Sie erinnerte sich an jene Situation damals, als der Tierarzt gerufen werden musste, um Susan einzuschläfern. Da war sie in den Wald hinter Bartle House gerannt, hatte sich einen Stock geholt, war losgestürmt und hatte auf die Bäume eingeschlagen. Sie war immerzu im Kreis gelaufen, bis der Stock zerbrochen war, dann hatte sie sich einen neuen gesucht und so lange damit um sich geschlagen, bis sie keine Luft mehr in der Lunge hatte und vornüber gefallen war und mit dem Gesicht in einem Kissen aus Moos landete.
    Jetzt, aus der Distanz, bewunderte sie jenes Mädchen, dasderart gewütet hatte. Sie konnte sich gut vorstellen, wie heiß ihre Wangen gewesen waren.
    Es erschien ihr bewundernswert und gleichzeitig für das liebenswerte kleine Pony völlig angemessen. Doch als sie jetzt auf ihrem Bett lag, machte allein der Gedanke an irgendeine körperliche Bewegung sie derart müde, dass sie das Gefühl hatte, in der Matratze zu versinken, als wäre die Matratze so tief und weich wie Treibsand. Schon das Atmen erschöpfte sie.
     
    Vielleicht schlief sie. Sie war sich nicht sicher.
    Sie sah jetzt, dass das Zimmer dunkel war, und sie hörte irgendetwas, ein Geräusch, das sie eigentlich erkennen sollte, aber sie konnte es nicht identifizieren.
    Es gehörte in ein anderes Leben.
    Nach einer Weile entschied sie, dass das Geräusch vielleicht ein klingelndes Telefon gewesen war, aber ihr fiel niemand ein, mit dem sie hätte reden mögen. Über eine Sache war sie froh: darüber, dass sie allein war. Sie fand, dass dieses Alleinsein etwas Würdiges und Friedvolles hatte.
     
    Erinnerungen suchten sie heim, wie Figuren aus einer Geschichte, wie Kobolde, die sich an den Händen hielten und sehr schnell rannten. » Schau her! Schau her! Wir sind lebendig!«
    Ein Abend, an dem …
    … Anthony und sie allein in der Küche von Bartle House saßen und Cornflakes aßen. Lal war irgendwo auswärts dinieren. Sie, Veronica, mochte vielleicht fünfzehn gewesen sein und Anthony zwölf oder dreizehn. Alles, was es für sie zum Abendbrot gab, waren Cornflakes. Anthony ging zum Kühlschrank, öffnete ihn und sah, dass er randvoll war mit Champagnerflaschen und vorbereiteten Wild- und Fischgerichten. Alles für eine Party, die Lal am nächsten Abend für ihre feinen Freunde aus Hampshire geben würde.
    »Nie ist irgendetwas für uns«, sagte er. »Ich weiß nicht, wieso.«
    »Aber ich«, sagte Veronica.
    »Du meinst, sie kümmert sich nicht um uns?«
    »Sie liebt uns nicht.«
    Er setzte sich und starrte auf seine halb gegessenen Cornflakes in der blauen Schale. Dann kippte er die Schale um und ließ den Matsch aus Milch und Cornflakes ins Tischtuch sickern. Er schob ihn mit den Händen hin und her. Veronica stand auf, ging zu Anthony und umarmte ihn. Sie küsste ihn auf den Kopf.
    »Ich liebe dich«, sagte sie. »Und ich werde dich immer lieben. Das verspreche ich dir: immer.«
    »Das weiß ich, V«, sagte er.
     
    Hatte sie ihr Versprechen gehalten?
    Es hatte Zeiten der Versäumnisse gegeben, Monate, in denen sie ihn nicht anrief, nicht einmal besonders an ihn dachte, vor allem, nachdem sie Kitty Meadows kennengelernt hatte. Denn das erkannte sie jetzt deutlich: Kitty hatte sie immer von Anthony trennen wollen, hatte immer das, was sie für ihn empfand, zu zerstören versucht – als wäre es um eine Gefahr für sie, um bedrohliche sexuelle Gefühle gegangen. In gewisser Weise war Kitty also für seinen Tod

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