Der unausweichliche Tag - Roman
verantwortlich …
Das kam ihr wie ein logischer Gedanke vor: Kitty ist verantwortlich .
Und Veronica beschloss, dass sich an diesem Gefühl wahrscheinlich niemals etwas ändern würde, dass Kitty Meadows Anthony in den Tod geschickt hatte. Irgendein durchgeknallter, unglückseliger Fremder soll ihn erschossen haben – weil er ein englischer Tourist war? Ein Motiv, das ihr immer unwirklich vorkommen würde. Es war Kitty, die seinen Tod gewünscht hatte. Sie, die viel zu borniert war, um zu begreifen, was Anthony und seine Schwester einander bedeuteten. Und deshalb, aus einer völlig unangemessenen Eifersucht, hatte sie sein Ende gewollt.
Das Telefon klingelte erneut, aber Veronica rührte sich nicht.
In der Nacht erwachte sie und glaubte, Regen zu hören.
Aber sie wusste, dass manchmal nicht zu entscheiden war, ob es sich um Regen handelte oder nur um Wind, der die Richtung änderte und aus einer ganz anderen Ecke durch die Bäume blies.
Das seufzende Geräusch hörte nicht auf. Es ging immer weiter. Halb war ihr danach, aufzustehen und nachzusehen, ob der Regen gekommen war, ob all die vielen Wochen der Dürre ein Ende hatten. Aber dann merkte sie, wie gleichgültig ihr auch das war. Sollte der Garten doch sterben!
Denn was ist schon ein Garten?, dachte sie. Ein Stück Erde, das vorübergehend künstlich verändert wird und übermäßig viel Zuwendung erfordert. Der Versuch, ein Baby-»Paradies« zu erschaffen, das einen über all die anderen Dinge hinwegtrösten soll, die man nie erlangen wird.
Und dann kam ihr ein neuer Gedanke: Es hätte ein Kind geben sollen. Meines oder Anthonys, von wem, war dabei unwichtig. Es hätte jemanden geben sollen, dem alles, was wir zu tun versucht haben, jetzt übergeben werden könnte.
Einen Liebling eben.
F euer kam in die Berge hinter La Callune.
Ein gedankenloser Spaziergänger wirft eine Zigarette weg.
Ein trockenes Blatt beginnt zu brennen …
Der Mistral trieb die Flammen über den Horizont. Der Wind blies aus Norden, das Feuer hielt kurz inne, nährte sich vom Kiefernharz in den Wipfeln, änderte dann die Richtung und setzte zu einem Angriff auf das Tal an.
Die Luft war rauchgeschwängert. Vom Jaulen der Feuerwehrsirenen begleitet, kam Marianne Viala keuchend die Straße zu Audruns Kate hinaufgeeilt, und dann standen die beiden älteren Frauen am Gartentor auf Wachposten. Sie beobachteten es jahrein, jahraus: Das Cévenoler Feuer in seiner unerbittlichen Größe. Sie hatten schon früher gesehen, wie der Himmel schwarz wurde. Sie hatten gesehen, wie die Weingärten grau unter der Asche erstickten. Sie hatten Stromleitungen explodieren sehen. Aber noch niemals zuvor hatten sie es direkt auf sich zurasen sehen, mit dem sich drehenden Wind direkt auf das Mas Lunel zu.
Marianne griff nach Audruns Hand. Die Feuerwehrmänner kämpften sich mit ihren schweren Schläuchen die steilen Terrassen hinauf.
»Die Canadair- Löschflugzeuge sind unterwegs«, sagte Marianne. »Luc hat Jeanne angerufen, und die hat es mir gesagt. Die Canadairs werden es löschen, Audrun. Sie sind jetzt an der Küste und füllen die Tanks wieder mit Wasser auf.«
Audrun starrte nach oben. Was sie am Feuer faszinierte, war seine Lebendigkeit. Wenn es so prasselte und zischte, glaubte sie fast, seinen Triumph zu hören: Die Erde gehört mir, die pulvertrockene Erde gehört seit jeher mir.
Im Gegensatz zum unermüdlichen, triumphierenden Feuer kam Audrun sich wie ein Schatten vor. Sie wusste, dass der erneuteAusbruch einer Episode kurz bevorstand. Sie wusste, dass sie sich hinlegen sollte, und zwar jetzt, bevor es losging. Aber diesmal versuchte sie, dagegen anzukämpfen. Sie klammerte sich an Marianne, senkte den Kopf, konzentrierte sich auf den Boden neben ihren Füßen. Manchmal gelang es ihr, den Anfall auf diese Weise zu bekämpfen, indem sie sich auf die Erde konzentrierte, nur durch ihren Willen.
Als sie nach einer Weile wieder hochblickte, war Raoul Molezon da, sein Pick-up parkte in der Auffahrt. Sie hörte Marianne zu ihm sagen: »Es geht ihr nicht gut, Raoul. Sie wird gleich …«
Aber sie hatte keine Zeit, darüber nachzudenken. Audrun wusste, dass keine Zeit blieb. Sie spürte Raouls Hand auf ihrem Arm. »Die Hunde!« Er brüllte sie beinah an. »Ich werde die Hunde frei lassen.«
»Die Hunde?«
»Du kannst die Hunde doch nicht bei lebendigem Leib verbrennen lassen!«
Er rannte zum Mas, und Audrun dachte, wie bezaubernd es war, dass Raoul Molezon immer noch wie ein Junge
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