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Der unausweichliche Tag - Roman

Der unausweichliche Tag - Roman

Titel: Der unausweichliche Tag - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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rennen konnte. Sie ließ Marianne los und versuchte, hinter ihm her zu rennen, nicht, weil er für sie immer noch schön war, sondern weil er Recht hatte. Die Hunde mussten gerettet werden – diese armen Tiere, die sie mit Innereien und Knochen am Leben hielt, seit Aramon in dem verschlossenen Polizeiauto abtransportiert worden war.
    Audrun hörte, dass Marianne sie zurückzurufen versuchte, aber sie hastete weiter.
    Sie wusste, dass sie mit ihrem ungeschickten Galopp einen komischen Anblick bot. Einer ihrer Füße schien in die falsche Richtung auszuscheren, und sie stolperte immer wieder. Aber sie musste das Haus erreichen, bevor die Feuerwehrmänner dort hineindrängten und sie am Betreten hinderten. Denn alles, was noch an Bernadette erinnerte, befand sich im Haus. Das Spülbecken,in dem sie Kartoffeln geschält; das Bett, in dem sie geschlafen; der Tisch, auf den sie ihre Ellbogen gestützt hatte …
    Raoul war jetzt am Zwinger. Audrun sah, wie er den Riegel am Tor wegschob, während die Hunde sich ins Gitter krallten und aneinanderdrängten, weil sie hinaus in die Freiheit wollten. Und dann rannten sie wie verrückt im Kreis herum und pissten und schissen vor Freude und Verwirrung. Nur ein Hund war im Zwinger geblieben. Er lag mit angstvoll aufgerissenen Augen im getrockneten Dreck und gab keinen Laut von sich. Raoul betrat den Käfig, nahm den Hund in die Arme, um ihn hinauszutragen, und Audrun dachte: Raoul Molezon ist ein guter Mensch, und er war immer ein guter Mensch …
    Sie ging an ihm vorbei hoch zum Haus. Sie stieß die Tür vom Mas Lunel auf, die schwere Tür, die die Polizei mit Gewalt geöffnet hatte, so dass sie jetzt nicht mehr richtig schloss. Sie stand in der Küche, die sie, nachdem Aramon abgeführt worden war und die gendarmes die Hausdurchsuchung beendet hatten, gründlich geschrubbt hatte. Anschließend hatte sie alles weggeworfen, was ihm gehörte: all seine halb kaputten Geräte und Apparate, jeden Haushaltsgegenstand, den er jemals angefasst hatte. Jetzt roch die Küche nicht mehr nach ihm. Sie roch nach Ätznatron und Bienenwachspolitur. Die alten Messingwasserhähne über dem Spülbecken glänzten in der Sonne. Der stark nachgedunkelte Eichentisch gewann allmählich seine schöne ursprüngliche Helligkeit zurück.
    Und Audrun dachte, wenn das Feuer jetzt alles zerstörte … jetzt, wo alles geschrubbt und erneuert war und in seinen einstigen Zustand zurückkehrte … sie dachte, dass das nicht richtig sein konnte. Sie sagte es laut: Das ist nicht richtig.
    Sie begann, den schweren Tisch zur defekten Tür zu schieben, versuchte, ihn nach draußen zu schaffen, wollte ihn vor dem Feuer retten, doch dann sah sie, dass der Tisch zu breit war und nicht durch die Tür ging, selbst wenn sie ihn anheben würde. Und so stand sie dann einfach hinter dem gegen die Tür geschobenenTisch, fast wie ein Ladenbesitzer, der auf Kundschaft wartet. Sie wusste, dass es albern war, so hinter dem Tisch zu stehen: Es führte zu nichts. Aber ihr fiel nichts ein, was sie sonst hätte tun können. Sie konnte schon das nahende Feuer riechen, hatte aber keine Idee, wie sie es bekämpfen sollte. Als sie umkippte, fiel sie mit dem Kopf auf den Tisch. Die Arme hatte sie ausgestreckt.
     
    Manchmal, wenn eine Episode kam, herrschte völlige, abgeschottete Dunkelheit, und danach fehlte ihr jede Erinnerung an irgendetwas. Zu anderen Zeiten hatte sie Gesichter in dieser Dunkelheit, Gesichter, die Gestalt annahmen und mit Ton unterlegt waren, wie altmodische Diashows oder sogar wie ein Film … und an Teile dieser Visionen konnte sie sich später erinnern …
     
    Der Himmel ist riesig und hell erleuchtet: eine große Himmelsleinwand.
    Audrun steht unter diesem Himmel, bindet gerade ihre Stangenbohnen fest, als das schwarze Auto an ihr vorbeifährt und vor dem Mas hält.
    Der Engländer – Verey – steigt aus und klopft an die Tür, doch es ist niemand da. Aramon ist draußen auf den Weinterrassen mit seiner Gartenschere und den Kanistern mit Unkraut-Ex und mit Brot und Bier für seine Mittagspause.
    Audrun hält in ihrer Arbeit inne. Plötzlich gefällt ihr das Aufregende an der Vorstellung, dass sie mit dem englischen Touristen allein ist und mit ihm machen kann, was sie will. Das Land gehört ihr – hätte ihr gehören sollen, jeder einzelne Zentimeter davon – und er betritt es unerlaubt, und sie kann ihn ärgern, mit allem, was ihr in den Sinn kommt.
    Sie nimmt ihre grünen Gummihandschuhe und steckt sie in die

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