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Der unausweichliche Tag - Roman

Der unausweichliche Tag - Roman

Titel: Der unausweichliche Tag - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Goldund Glas, all das gedrechselte Dies-hier und friesförmige Dasda – ein prinzlicher Vorrat an unbezahlbarem Zeug in der Pimlico Road, das er seine Lieblinge nannte oder ähnlich albernsentimental. Wie konnte solch ein Berg von teuren Objekten »erledigt« sein?
    »Das verstehe ich nicht«, sagte sie.
    »Ich weiß. Das ist auch schwer zu verstehen«, sagte Veronica. »Er hat immer haufenweise Geld verdient. Aber es läuft nicht mehr. Ich glaube, inzwischen scheuen sogar die Reichen vor Chippendale zurück.« Veronica trat die Zigarette aus und legte ihren schweren Arm auf Kittys Schulter. »Ich weiß, dass er verwöhnt ist«, sagte sie. »Ich weiß auch, dass er kein einfacher Gast ist. Aber er ist mein Bruder, und er ist in Schwierigkeiten, und er möchte kommen und bei uns wohnen. Nur für eine Weile. Deshalb habe ich ja gesagt. Du wirst doch nett zu ihm sein, oder?«
    Was sollte Kitty schon sagen? Sie griff nach Veronicas Hand. Eigentlich wollte sie fragen: Wie lange dauert »eine Weile«? Doch selbst das kam ihr zu egoistisch vor. Und Kitty kannte keine Grenzen – fast keine – für das, was sie für Veronica zu tun bereit war.
    »Natürlich«, sagte sie brav.
     
    Aus dem Gästezimmer blickte man gen Osten, über den kleinen Obstgarten und weiter zu den Feldern mit den Aprikosenbäumen und den Rebstöcken. Der Fußboden des Zimmers war weiß gefliest, es gab ein Kastenbett und einen wackeligen schmiedeeisernen Beistelltisch. Die Balken waren magentafarben gestrichen.
    Für Anthony räumte Veronica aus dem Walnussholzschrank die Wintersachen, die sie beide dort aufbewahrten, bezog das Bett mit weißer Baumwollbettwäsche, beseitigte die Spinnweben mit Hilfe des Staubsaugers, ölte die Fensterladenscharniere und putzte das Badezimmer. Kritisch betrachtete sie schließlich das Ergebnis ihrer Mühen. Sie sah die Zimmer mit AnthonysAugen: zu schlicht, zu schmucklos und zu schäbig und die Balken mit einer albernen Farbe verschandelt. Aber daran ließ sich nun nichts mehr ändern. Wenigstens der Blick aus dem Fenster war unbestreitbar schön.
    Anthony hasste Flugzeuge. Seinetwegen konnte man die Billigflieger gern vom Himmel schießen. Er sagte, er werde den Zug nach Avignon nehmen und dort einen Wagen mieten.
    Er bestand darauf, ihnen Earl-Grey-Tee und Marmite mitzubringen, auch als Veronica ihm erklärte, sie brauchten diese Dinge nicht. Er sagte, er sei »unendlich dankbar«. Er sagte, er sei sicher, die Luft des Südens werde die Dinge für ihn klären.
    Inwiefern denn klären?, fragte Kitty sich im Stillen, sagte es aber nicht laut. Für sie war Anthony Verey seit jeher ein Mann, für den alles immer schon klar, entschieden, beurteilt, kategorisiert, passend eingeordnet und etikettiert war. Was gab es denn da, in einem so offensichtlich ichbezogenen Leben, noch zu begreifen?

L angsam und vorsichtig ging Audrun hoch zum alten Haus, achtete genau auf jeden Schritt, auf alles, was da war, und auf alles, was vielleicht da war …
    Man konnte nie genau sagen, was Aramon im Sinn hatte. Einmal hatte er seinen alten Fernseher rausgeworfen und sich einen neuen, groß wie ein Schrank, gekauft. Und im letzten Winter hatte er sich einen Berg Sand liefern lassen, aber nicht gesagt – anscheinend auch nicht gewusst –, wozu der Sand gut sein sollte. Längst hatte sich Unkraut in der verdichteten, wegsackenden Masse angesiedelt; der Sandhaufen und der kaputte alte Fernseher lagerten Seite an Seite im Gras, im Januar schneite es darauf, im Frühling fegten die warmen Brisen darüber hinweg, und Aramon lief einfach daran vorbei. Manchmal konnte Audrun beobachten, wie die Hunde ihr Geschäft in dem Sandhaufen erledigten oder das Bein am Fernseher hoben. Weshalb der Schirm inzwischen gelblich wirkte, streifig gelb, und manchmal, wenn ein Sonnenstrahl darauf fiel, sah es aus, als versuchte ein alter Fernsehansager, mit seinem flackernden Signal durchzukommen.
    In Audruns Kindheit hatte Mas Lunel eine U-Form. Aber jetzt war von dem ganzen Gebäude nur noch der untere Teil des Us übrig. Die Dächer der beiden Seitenflügel, in denen einst das Vieh untergebracht, Korn gelagert und Seidenraupen gezüchtet worden waren, waren in den Stürmen der 1950er Jahre stark beschädigt worden, und Serge, der Vater, hatte erklärt: »Gut. Jetzt können wir uns dort an die Arbeit machen.«
    Wie Bernadette Audrun erzählt hatte, glaubte sie damals, »an die Arbeit machen« hieße, die Flügel wieder restaurieren, die Risse in den Wänden

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