Der unausweichliche Tag - Roman
schaute, waren, wie Kitty Meadows fand, mit nichts in ihrem Leben zu vergleichen. Sie suchte eine passende Beschreibung, und das Wort, für das sie sich entschied, war absolut . Doch selbst das fing nicht ganz ein, was sie empfand. Eines Abends sagte sie zu Veronica: »Ein Teil von mir würde am liebsten auf der Stelle sterben, so schön ist es.«
Veronica lachte. »Dann sag diesem Teil, er soll die Klappe halten«, erklärte sie.
Sie wussten beide, dass die Schönheit geborgt war: der Anblick der Berge und selbst die Sonnenuntergänge und die hell leuchtenden Sterne. Irgendwo wussten sie, dass all dies ihnen nicht gehörte. Denn wenn man sein eigenes Land verließ, wenn man es sehr spät verließ und seine Zelte in einem Land aufschlug, das anderen gehörte, hatte man das ständige Gefühl, ein unsichtbares Gesetz zu brechen, die ständige, irrationale Angst, eines Tages würde der »rechtmäßige Besitzer« auftauchen und einem alles streitig machen. Man würde aus dem Land vertrieben – zurück nach London oder Hampshire oder Norfolk oder wo immer man ein legitimes Bleiberecht beanspruchen konnte.
Die meiste Zeit dachten sie nicht darüber nach, nur, wenn sie plötzlich zum Gegenstand höhnischer Verachtung wurden, wenn ein paar Jugendliche im einem Café in Anduze sie als putains de rosbifs verspotteten oder wenn sie an die Zeit zurückdachten, als der Bürgermeister von Sainte-Agnès-la-Pauvre sie des »Diebstahls« von Gemeindewasser beschuldigte.
Wasser.
Dem Garten zuliebe waren sie zu verschwenderisch damit umgegangen, hatten die Verfügungen über den Einsatz von Gartenschläuchen bis an die Grenzen strapaziert. »Sie benehmen sich, als wären Sie als Ausländerinnen nicht dem Gesetz verpflichtet«, sagte der Bürgermeister, »oder Sie tun so, als würden Sie es nicht verstehen.«
Veronica wurde genauso wütend wie damals, als sie mit Susan bei einem dreitägigen Wettkampf rausgeflogen war, weil sie beim Hürdenparcours eine Kurve geschnitten hatte. Sie protestierte. Das sei nicht wahr, sie würden das Gesetz sehr wohl kennen und hätten sich genau daran gehalten, indem sie nie vor acht Uhr abends gegossen hätten. »Sie haben sich an die Buchstaben des Gesetzes gehalten – so gerade eben –, aber Sie haben seinen Geist nicht erfasst. Die Leute haben gehört, wie Ihre Rasensprenger mitten in der Nacht rotierten.«
Das stimmte. Nach dem Abendessen lauschten sie gern dem Geräusch der Rasensprenger. Es war wie eine schlichte kleine Musik, bei der sie sich das durstige Gras vorstellten, das diese Musik dankbar aufnahm.
Jetzt saßen sie auf der Terrasse, schwiegen, in stillem Kummer versunken, und starrten so lange auf ihre geliebten Blumenrabatten, bis die weißen Blüten der japanischen Anemone die einzigen hellen Punkte in der violetten Dämmerung waren. Veronica sagte: »Tja, ich fürchte, dieser Garten wird nichts werden. Die Hälfte der Gärten, die ich hier unten angelegt habe, werden wohl nichts. Ich fürchte, es war alles vergebens. Aber wie soll man auch ohne Regen gärtnern?«
Das war jetzt die Frage, ihre einzige: Wie kann man einen Garten am Leben erhalten, wenn es so selten regnet?
Kitty erhob sich und marschierte auf und ab. Dann sagte sie: »Es gibt Möglichkeiten, an Wasser zu kommen und es auch zu speichern, an die wir noch nicht gedacht haben. Und wir müssen jeder einzelnen nachgehen. Wir müssen einfach eine bestimmte Menge an Technik zulassen.«
Eines der vielen Dinge, die Veronica an Kitty schätzte, war ihr praktischer Sinn. Sie selbst war ungeschickt, ließ sich häufig durch die Funktionsweise von Dingen in der modernen Welt verwirren; Kitty war systematisch, ruhig und einfallsreich. Sie konnte kaputte Sachen in Ordnung bringen. Sie konnte einen Rasenmäher reparieren und eine Lampe neu verdrahten.
Und so war es dann auch Kitty, die sich an die Lösung des Wasserproblems machte. Sie sorgte dafür, dass der Brunnen gereinigt und saniert wurde, und kaufte eine neue Pumpe, die Wasser neun Meter hoch fördern konnte. Sie brachte die Arbeiten an einem zweiten Brunnen auf den Weg. Sie ließ neue Regenrinnen und unterirdische Rohre installieren, durch die das Regenwasser in ein neues Beton- Bassin unter den Obstbäumen lief. Durch ein neues Leitungssystem floss das Badewasser in grüne Plastikfässer. Kitty und Veronica bedeckten jeden Zentimeter unbepflanzter Erde mit einer dicken Mulchschicht. Sie gruben die durstigen Anemonen wieder aus und ersetzten sie durch
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