Der unausweichliche Tag - Roman
überlassen, wie Schweine mit Kastanien und ansonsten mit Knochen und Essensresten gefüttert. Heute war sogar ihr Wassernapf leer. Während Audrun ihn wieder füllte, tat ihr vor Zorn auf Aramon die Brust weh, und ihre Halsschlagader pochte heftig. Eines Tages, sagte sie sich, würde all das wieder in Ordnung kommen. Eines Tages.
Während Audrun in Aramons Küche seine schwarz gewordenen Pfannen scheuerte und das Fett vom Herd kratzte, sagte sie: »Du weißt doch, dass vorne in der Hauswand ein Riss ist, oder?«
Aramon war mit den zwei toten Zwerghühnern hereingekommen und hatte sie auf den Tisch geworfen. Jetzt fummelte er an seiner Brille, die Audrun unter seinem Kissen gefunden hatte. Sein schwerer Kopf hatte die Drahtbügel verbogen.
»Ich hab ihn gesehen«, sagte er. »Das ist nichts.«
Audrun sagte, er solle Raoul Molezon, den Steinmetz, bitten, sich die Sache anzuschauen, aber Aramon erwiderte, das sei unnötig, er habe selbst schon nachgesehen. Es sei nur ein Riss im Mörtel, mehr nicht, man müsse da nicht gleich panisch werden. Dann setzte er sich die Brille auf die Nase, suchte nach seinen Zigaretten, zündete eine an, hustete und spuckte auf den Steinfußboden und sagte: »Es reicht mir sowieso. Dieses große Scheißteil macht mich wahnsinnig. Es zieht mich runter, ruiniert mir die Gesundheit. Und deshalb habe ich einen Entschluss gefasst. Ich verkaufe das Haus. Und das Land. Ich verkaufe alles.«
Audrun starrte auf ihre Hände, die im Spülwasser wie verschrumpelte Möhren aussahen. Hatte sie tatsächlich richtig gehört?
»Ja«, sagte Aramon, als könnte er Gedanken lesen. »Es hat mir gereicht. Also habe ich mich gleich darangemacht – bevor mir irgendjemand dazwischenredet. Häusermakler aus Ruasse waren schon hier. Ich denke, du hast sie gesehen, als sie bei dir durch die Vorhänge gelinst haben! Mutter und Tochter. Tochter auf hohen Absätzen, dumme Kuh. Aber sie waren interessiert. Sehr sogar. Die Situation am Markt ist zwar nicht mehr ganz so gut, aber sie sagen, ich kann noch immer einen guten Preis kriegen, pardi , einen Haufen Geld. Kann den Rest meiner Tage in Saus und Braus leben.«
In Saus und Braus leben. Aramon?
Was stellte er sich bloß darunter vor?
»Ja«, sagte er noch einmal. »An Ausländer verkaufen, das haben die Maklerinnen mir geraten. An Schweizer, Belgier, Holländer, Engländer. Viele von denen können immer noch mit Geld um sich werfen, trotz der Rezession. Und sie lieben solche alten Kästen. Sie motzen sie auf mit Swimmingpool und weiß der Henker was noch. Nutzen sie als Ferienhäuser …«
Audrun trocknete sich die Hände an einem zerschlissenenGeschirrtuch. Sie drehte sich zu Aramon um und sagte: »Es ist nicht deins, du kannst es nicht verkaufen, Aramon. Es hat unseren Eltern gehört und unseren Großeltern …«
»Und ob ich es verkaufen kann. Du hast deinen heiligen Wald und das Land für deine Kate und dein Gemüse gekriegt. Und ich das Haus. Ich kann damit machen, was ich will.«
Audrun faltete das zerschlissene Handtuch. Sie sagte ruhig: »Wieviel glaubst du, dass du dafür bekommst?«
Sie sah, dass er ein verblüfftes, fast ängstliches Gesicht machte. Dann nahm er ein gebrauchtes Streichholz und schrieb mit dem verkohlten Ende eine Zahl in seine Handfläche, hielt sie – gekrümmt, als wollte er ein Bantamhühnchen packen – Audrun dicht vors Gesicht, und sie sah, was da geschrieben stand: € 450 000.
Audrun nahm ihre Medizin und legte sich schlafen.
Sie träumte von den Fremden, die sich in Mas Lunel einrichten würden, während Aramon es sich wohl sein ließ und irgendwo in der Nähe in Saus und Braus lebte.
Im Traum machten die Fremden sich mit eigentümlicher Heftigkeit über das Haus her, als würden sie gar nicht dieses Haus haben wollen, sondern ein anderes, das nur in ihrer Fantasie existierte.
Sie gestalteten das Land neu. Ein See erschien. Die Farbe des Seewassers war rosa, als sei es mit Blut vermischt. Sie redeten in einer anderen Sprache, vielleicht Holländisch. Ihre Kinder tobten im Hof herum, dort, wo Bernadette in der Sonne gesessen und Erbsen gepalt hatte. In der Nacht tollten sie nackt und kreischend bei dröhnender Rockmusik in dem blutfarbenen See. Der Lärm, den sie veranstalteten, hallte durch die Stille von Tal zu Tal.
A m Abend vor seiner Frankreichreise speiste Anthony mit seinen alten Freunden Lloyd und Benita Palmer in deren Haus in Holland Park.
Lloyd, ein Investmentbanker im Vorruhestand, hatte im
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