Der unausweichliche Tag - Roman
Laufe der Jahre für Abertausende Möbel bei Anthony gekauft. Benita war Innenarchitektin und hatte die Räume für diese Möbel geschaffen. Ihr Farbspektrum bewegte sich bevorzugt zwischen Flachs, Eierschale und Koralle. In ihrem Bad im Erdgeschoss, das mit apricotfarbener toile de jouy ausgeschlagen war, stand eine Vitrine aus Schlangenholz und Mahagoni (»Messingeingefasster Aufsatz über Blumenfriesmalerei, Unterschrank mit Intarsientüren aus Schlangenholz und teilvergoldeter Girlandenapplikation«) aus dem 18. Jh., die mindestens 16 000 Pfund wert war. In dem beige-, crème- und goldfarbenen Esszimmer, wo sie jetzt saßen, hingen zwei Ölgemälde von Barend van der Meer (»Schönes Stück, Stillleben mit Pflaumen und Trauben, auf Weinranken in einer Glasschale drapiert, 1659« und »Schönes Stück, Stillleben mit Granatäpfeln und afrikanischem grauen Papagei, 1659«), die nach konservativer Schätzung einen Wert von je 17 000 Pfund hatten. Die zwei silbernen George-III-Flaschenuntersetzer (»Wände von Rankenwerk durchbrochen und mit gewelltem, gemustertem Rand«), die vor Lloyds Platz auf dem Tisch standen, hatte Anthony auf einer Versteigerung in Worcester zusammen für 300 Pfund erstanden und für 1 000 Pfund an Lloyd weiterverkauft.
Anthony hatte Lloyd Palmer zwar häufig mit der Behauptung geärgert, er sei einer der »fiesen reichen Herren des Universums«, war aber bislang ziemlich zufrieden mit seiner eigenen Rolle in diesem Universum als oberster Lenker von Lloyds und Benitas Möbel- und Bildergeschmack. Doch als er Lloyd mit seinen fünfundsechzig Jahren jetzt, an diesem Abend, immernoch triumphierend durchs Leben segeln sah – trotz des wirtschaftlichen Abschwungs, über den er sich durchaus laut beklagte (»Ich habe grausame Verluste hinnehmen müssen, Anthony, absolut verdammt grausame Verluste!«), der seinen Lebensstil allerdings seltsam unberührt ließ – mit seiner großen, immer noch schönen Frau als paillettenbesetzter Spinnaker vor seinem Bug … als er sah, wie sie beide dahinrauschten, mit all dem im Rücken, was in der reichen britischen Gesellschaft am begehrenswertesten war, da spürte Anthony den Stachel des Neids.
Die Palmers waren ein umwerfend erfolgreiches Paar. Dieses große, prachtvolle Schiff, mit dem soliden Ballast zahlreicher Kinder und Enkelkinder, konnten weder Stürme noch Windstillen, ja nicht einmal Rost gefährden – zumindest schien es so. Und deshalb musste Anthony es sich an diesem Abend unumwunden eingestehen: Lloyd war ihm stets voraus gewesen, und er würde es immer sein. Er war tatsächlich so weit voraus, seine Führungsrolle war so offenkundig unangreifbar, dass Anthony sich gar nicht erst einzubilden brauchte, er könnte ihn jemals einholen. Und das Schlimmste war, er sah, dass Lloyd dasselbe dachte. Sogar Benita mochte Ähnliches denken: Der arme Anthony; schwierig ist es ja überall, aber für Anthony Verey Antiquitäten ist jetzt wohl Ende der Fahnenstange. Gott sei Dank müssen wir im anarchischen 21. Jahrhundert unser Geld nicht damit verdienen, dass wir, wie unsere amerikanische Freundin Mary-Jane es nennt, »Möbel von toten Leuten« verkaufen …
Diese düsteren Betrachtungen hatten Anthony dazu verleitet, Lloyds exzellentem Wein heftig zuzusprechen. Lloyd hatte mitgezogen, und jetzt saßen die beiden einander gegenüber, zwischen sich ein unruhiges Meer von Gläsern, husteten über ihren Zigarren, schlürften Kognak und waren wild entschlossen, wie Lloyd es so rührend formulierte, »der ganzen verdammten Chose mal endgültig auf den Grund zu gehen«.
Benita hatte sich zurückgezogen. Sie wusste – vielleicht, weilsie gebildeter war als Lloyd, ihren Ibsen und Lewis Carroll gelesen und sogar verstanden hatte –, dass »die ganze verdammte Chose« keinen Grund hatte und dass Männer, wenn sie ihn zu suchen behaupteten, häufig bei Gesprächen über Autos landeten. Wie Benita beobachtet hatte, suhlten sie sich dabei mitunter höchst sentimental in ihrer Vergangenheit, bauschten Universitätspossen zu Legenden von universeller Bedeutsamkeit auf und übertrieben die ihnen angeblich durch Public-School-Prügeleien zugefügten Traumata. Als Benita an diesem Abend ihre Schlafzimmertür schloss, hörte sie Anthony noch sagen: »Die einzige Zeit, Lloyd, in der ich glücklich war … die einzige glückliche Zeit in meinem verdammten Leben war in einem Baumhaus!«
Lloyd brach in lautes Lachen aus. Er lachte für sein Leben gern (und viele
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