Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der unausweichliche Tag - Roman

Der unausweichliche Tag - Roman

Titel: Der unausweichliche Tag - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
Vom Netzwerk:
Menschen liebten ihn wegen eben dieses Lachens), aber jetzt, an diesem Abend, bemerkte Lloyd, dass ein Nebeneffekt dieses Heiterkeitsausbruchs eine leichte Feuchtigkeit in seiner Unterhose war. Und das war überraschend, dachte er, während er weiterkicherte, weil so etwas alten Männern passierte, aber doch (noch) nicht ihm!
    »Ja«, sagte Anthony gerade, »das ist die reine Wahrheit, mein Lieber. In einem Baumhaus.«
    »Oh Gott!«, sagte Lloyd. Er hatte sich von seinem Lachanfall erholt und legte eine fleischige Hand in seinen Schritt, um zu prüfen, ob die Feuchtigkeit durch die Hose drang, was der Fall war. Er stopfte eine zerknüllte Leinenserviette an die Stelle und sagte: »Na los, erzähl mir, wo dieser verdammte Baum stand.«
    Anthony schenkte sich noch einen Kognak aus der William-Yeoward-Karaffe ein. »In den Ferien«, sagte er, »als V und ich noch klein waren, habe ich mal in dem Wäldchen hinter dem Haus ein Baumhaus gebaut …«
    »Hieß das nicht Barton House oder so ähnlich?«
    »Ja, Bartle. Mamas Haus. Unser Haus. Bevor du mich kanntest.«
    »Ziemlich lange, bevor ich dich kannte, mein Guter. Ich will damit sagen, ziemlich lange. Falls du nicht auch noch Baumhäuser gebaut hast, als du in Cambridge warst.«
    »Halt die Klappe, Lloyd, und hör zu. Wir wollten doch der Chose auf den Grund gehen.«
    »Willst du etwa sagen … willst du sagen, dass der Grund der Chose … der Grund der ganzen verdammten Chose ein Scheiß-Baumhaus ist?«
    »Nein, das habe ich nicht behauptet. Ich will nur sagen … ich will sagen … alles, was ich sagen will, ist, dass ich sehr glücklich war, als ich Mama zum Tee einlud.«
    »Zu welchem Tee?«
    »Hör doch zu. Du hörst mir gar nicht zu.«
    »Doch, ich höre zu.«
    »Ich habe in meinem Baumhaus einen Tee-Empfang gegeben. Ich habe Mama eingeladen. Okay? Und Mrs. Brigstock hat für mich gebacken: Malzbrot und Sahneröllchen. Und ich habe alles vorbereitet. Tisch. Tischdecke. Porzellan und so weiter. Stühle.«
    »Wer ist Mrs. Brigstock?«
    »Mrs. Brigstock ist Mrs. Brigstock, Lloyd. Die Haushälterin und Köchin, die Mama damals hatte.«
    »Okay. Okay. Mach dir nicht ins Hemd! Woher soll ich das wissen? Und wie hast du überhaupt den verdammten Tisch und die Stühle in das verdammte Baumhaus gekriegt?«
    »Hochgetragen. Die Leiter hoch. Ich wollte alles bis aufs letzte I-Tüpfelchen perfekt haben für Mama.«
    An dieser Stelle von Anthonys Geschichte gelang es Lloyd nicht, einen weiteren Lachanfall zu unterdrücken, und als auch dieser von einer warmen Leckage in seiner Unterhose begleitet wurde, stand er auf, beugte sich vor, hielt die Serviette so, dass Anthony den feuchten Fleck nicht sehen konnte, und schwankte zur Tür. »Bin gleich zurück«, sagte er. »Ich möchte doch den Ausgang der Geschichte hören. Wirklich, das möchte ich, Anthony. Ist ja so packend wie Pu der Bär.«
    In dem bezaubernden Toile-de-jouy -Badezimmer erleichterte Lloyd seine schmerzende Blase und versuchte, seine Unterhose mit zerknülltem aprikotfarbenen Toilettenpapier zu trocknen.
    Aus der Schlangenholz-Mahagoni-Vitrine sah ihm sein verzerrtes Spiegelbild entgegen. Die kleine feuchte Angelegenheit hatte ihn ein wenig ernüchtert, aber doch nur so weit, dass er den Abend gern weiter genießen wollte, und zwar sowohl Anthonys Gesellschaft als auch die Erkenntnis, dass sein alter Freund in einer Art mentaler Klemme steckte. Diese Klemme, die Lloyd – doch ja – tatsächlich genoss , hatte offenbar nicht nur etwas mit Anthonys Finanzen zu tun, sondern mit etwas anderem, irgendetwas Existentiellem, das er anscheinend nicht formulieren konnte.
    Wenn Lloyd früher von seiner Freundschaft mit dem prominenten Anthony Verey erzählte, hatte er häufig – eigentlich jedes Mal – ertragen müssen, dass die Menschen völlig eingeschüchtert reagierten, was er, auf sich selbst bezogen, immer unfair gefunden hatte. Denn schließlich hatte er jahrein, jahraus mehr Geld verdient als Anthony, wahrscheinlich sogar sehr viel mehr. Aber er hatte es still verdient, nicht im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit. Die Menschen »kannten« Anthony Verey, weil er auf glamourösen Vernissagen und Galerieeröffnungen auftauchte, häufig umgeben von einem Schwarm extravaganter Schauspieler und bildender Künstler, und weil sein Name auf dem Schild eines vornehmen Geschäfts in Pimlico stand, in das sich kein Amateursammler wagte. Anthony verstand eine verdammte Menge von Möbeln und Bildern, das musste Lloyd

Weitere Kostenlose Bücher