Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der unausweichliche Tag - Roman

Der unausweichliche Tag - Roman

Titel: Der unausweichliche Tag - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
Vom Netzwerk:
schönes Haus«, verkündete sie schließlich, während sie den Wagen dicht an einen sehr langsamen Zementlaster heranfuhr, um dann in dessen Dieselwolke festzuhängen. »Lassen Sie sich nicht vom Zustand der Räume abschrecken. Sie sind leider vollgestopft mit dem Krempel eines alten Mannes. Stellen Sie sich einfach vor, wie alles aussehen wird, sobald der erst einmal weg ist. Bei alten Häusern wie diesem, die seit Jahrzehnten in Familienbesitz sind und nie modernisiert wurden, muss man seine Fantasie einsetzen.«
    Anthony nickte. Die Frau verdross ihn. Sie roch nach Nikotin. Sie fuhr gefährlich. Sie redete derart schnell, dass es so gut wie unmöglich war, sie zu verstehen.
    »Paysage«, sagte er. »Wie ist die?«
    » Paysage? Was meinen Sie damit?«
    »Paysage. Das Land neben dem Haus.«
    »Ach so. Nun, das Grundstück ist verwildert. Es wird schon seit Jahren nicht mehr kultiviert. Einige der Terrassenmauern sind abgesackt. Aber das ist nicht schlimm. Das lässt sich reparieren. Wie ich weiß, seid ihr Engländer doch versessen auf Gärten. Und dafür gibt es dort jede Menge Land. Also.«
    Die Straße nahm einfach kein Ende, es ging bergauf, bergab, bergauf, um die Kurve, wieder bergab. Anthony bekam allmählich schrecklichen Durst, und als er an der Straße einen Imbissstand mit dem Schild »Orangina« sah, bat er Madame Besson, zu halten. Sie brachte den Wagen zum Stehen, Anthony, Veronica und Kitty stiegen aus, stellten sich auf den Seitenstreifen und atmeten die wunderbar frische Luft. Die Sonne schien heute wärmer als in den vorhergehenden Tagen. Bienen umsummten den gelben Ginster. Eine weiter unterhalb gelegene grüne Wiese war übersät mit leuchtenden Butterblumen.
    »Sommer«, sagte Veronica. »Hier kommt er schon früh. Man kann ihn geradezu fühlen.«
    Der Imbiss nannte sich La Bonne Baguette . Und als Veronica die Kühltheke mit all den knusprigen Sandwiches sah, sagte sie: »Kommt, wir holen uns alle ein Sandwich. Es ist doch schon fast Mittag.«
    Jetzt stieg auch Madame Besson aus und zündete sich eine Zigarette an. Anthony erbot sich, ihr etwas mitzubringen, aber sie lehnte ab und starrte ostentativ auf Veronicas rundliche Figur. »Ihr Engländer«, sagte dieser Blick. »Ihr esst lauter schreckliches Zeug. Und ihr scheint gar nicht zu merken, dass dieser Mist euch umbringt.«
    Sie lief nervös hin und her, während Getränke und Baguettes gekauft wurden.
    »Essen Sie die Brote hier«, erklärte sie bestimmt. »Sonst habe ich den Wagen hinterher voller Krümel.«
    Also marschierten sie hinunter zur Butterblumenwiese, setzten sich ins Frühlingsgras und aßen und tranken, während Madame Besson sie streng im Auge behielt.
    »Ich schätze, sie ist die Ausländer leid«, sagte Anthony. »Wir bringen ihr zwar Geld, aber im Grunde wäre ihr am liebsten, wir gingen alle nach Hause.«
    Er lachte, als er das sagte, und schaute Kitty an, als erwarte er irgendeine zustimmende Geste, aber sie drehte einfach nur den Kopf weg.
    Was Kitty in dem Moment tatsächlich beschäftigte, war der Sandwich-Belag, den Anthony sich ausgesucht hatte: Camembert und Tomate. Ihr fiel nämlich ein, dass eine Freundin von Veronica, die hier in der Nähe wohnte, an Käse aus Rohmilch gestorben war.
     
    Endlich tauchte es auf: das Mas Lunel. Golden lag es in der Mittagssonne; mit den Steineichen dahinter, die gerade neues Grün austrieben, und der dunklen Tannenwand darüber. Gänseblümchen legten einen weißen Schleier über den ungepflegten Rasen.
    Was Anthony sofort an dem Haus gefiel, war dieses entschiedene Für-sich-Sein: Es stand ganz allein auf einer Hochebene, als hätte sich die Landschaft rundherum extra schützend um das Gebäude gruppiert. Nach Süden hin lagen die Weinund Oliventerrassen, die zur Straße abfielen. Anthony stieg aus dem Wagen, blieb ganz still stehen und versuchte, die Atmosphäre des Orts zu erfassen, seine herrliche Abgeschiedenheit, seine wilde Schönheit zu spüren, ehe irgendetwas dazwischentrat und diese Stimmung zerstörte.
    Ein älterer Mann kam aus dem Haus. Er hinkte leicht, war hager, trug schäbige Kleidung und hatte die hektische, rötliche Gesichtsfarbe eines Trinkers. Um den mageren Hals hatte er ein rotes Halstuch gebunden. Er beschirmte die Augen gegen die Sonne.
    Madame Besson ging auf ihn zu und schüttelte ihm die Hand. Anthony hörte, wie sie ihn rasch daran erinnerte, dass sie diesmal englische Käufer bringe, und er sah, wie der Mann zu ihnen herüberblickte, Veronica,

Weitere Kostenlose Bücher