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Der unausweichliche Tag - Roman

Der unausweichliche Tag - Roman

Titel: Der unausweichliche Tag - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Kitty und dann ihn anglotzte und sich mit dem Handrücken einen Speichelfaden aus dem Mundwinkel wischte.
    Madame Besson stellte sie vor. »Monsieur Lunel. Monsieur Verey. Seine Schwester. Eine Freundin …« Und allesamt unterzogen sie sich dem obligatorischen Händeschütteln, dem wohlerzogenen Begrüßungsritual, das es in Großbritannien schon lange nicht mehr gab. In ihrem Zwinger hatten die Hunde zu bellen begonnen und Kitty damit sichtlich verstört, weshalb Monsieur Lunel sich eilig entschuldigte. »Kümmern Sie sich nicht um die«, sagte er. »Das sind Jagdhunde. Wir jagen oben in den Bergen wilde Bären. Aber ich nehme sie natürlich mit, wenn ich gehe. Keine Sorge. Ich will sie nicht mit dem Haus verkaufen!«
    Lunel lachte selbst über seinen kleinen Witz und wurde sofort dafür bestraft, da aus dem Lachen ein Husten wurde, der mit Macht aus seiner Brust hochdrängte, weshalb er sich abwendenund in ein Tuch spucken musste. Anthony dachte: Er verkauft, weil er bald stirbt. Er möchte Bargeld, bevor die Dunkelheit kommt.
    Als er sich von seinem Hustenanfall erholt hatte, sagte Lunel, er werde Kaffee kochen. Oder Tee. Hätten die Britanniques lieber Tee? Er habe auch Tee. Lipton-Tee. Wahrscheinlich sei es besser, erklärte er, wenn er den Tee mache und Madame Besson ihnen das Haus zeige, weil er es nicht so gut beschreiben könne. Er habe hier sein Leben lang gewohnt. Wenn man sein ganzes Leben lang an einem Ort wohnt, sagte er, dann weiß man nicht, wie er auf Fremde wirkt. Man weiß nicht, was ihnen Angst macht und was ihnen gefällt …
    Sie entschieden sich für Tee und folgten Madame Besson. Anthony sah noch, wie Lunel zu den Hunden ging und ihnen irgendetwas aus seiner Tasche hinwarf, um sie zu beruhigen.
     
    »Cévenoler Häuser sind dunkel«, erklärte Madame Besson, als sie den großen Raum mit der Küchenzeile und einem schiefen, ziemlich ramponierten Esstisch betraten, »weil sie möglichst wenig Fensterfläche haben. Auf diese Weise bleiben die Häuser im Sommer kühl und halten im Winter die Wärme des Kamins. Sehen Sie, wie dick die Wände sind?«
    Der Raum roch nach dem Kamin, nach Kochfett und Zwiebeln.
    Der Steinfußboden war an mehreren Stellen von vielen schweren Stiefeln ramponiert. Ein gewaltiger Eichenschrank (»Französisch, um 1835 …«), schätzte Anthony, (»… gedrechselte Pilaster, mit Gebrauchsspuren und Beschädigungen«) war vollgestellt mit Servierplatten, Tellern, Krügen, Schüsseln und schwarz angelaufenen Messinglampen. In der hinteren Ecke des Raums stand ein Schlafsofa mit einer karierten Decke, auf dem sich vergilbte Kataloge für Landwirtschaftsmaschinen stapelten. Auf dem Boden vor dem Sofa stand ein altes Bakelittelefon. Aus einem undichten Wasserhahn leckte es in einSteingutwaschbecken. Leere Whiskyflaschen dekorierten das Abtropfbrett. Auf dem Tisch lagen ein paar angeschimmelte Äpfel, daneben standen eine Flasche Pastis und ein milchiges Glas.
    »Ich habe Sie gewarnt«, sagte Madame Besson. »Es ist alles ein schreckliches Durcheinander. Aber dieser Raum hat sehr gute Proportionen. Und nun schauen Sie bitte hoch. Sehen Sie die herrlichen Decken?«
    Anthony sah dicke, rauchgeschwärzte Deckenbalken, auf denen dicht an dicht die dünnen Dachsparren lagen. Der Mörtel zwischen den Dachziegeln war bröselig und schon lange nicht mehr geflickt worden. Aber Madame Besson hatte Recht, es war eine außergewöhnliche Decke. Sie erinnerte Anthony an das Dach der bescheidenen kleinen Dorfkirche in Netherholt, wo Lal begraben lag. Und er dachte: Hier würde er mit der Arbeit an diesem Haus beginnen, an dieser Decke, die mit ihrer geschichtsträchtigen Aura etwas von einem Kirchendach hatte. Er würde dem Holz seine ursprüngliche Farbe zurückgeben. Alles neu verputzen. Dann den Verputz der Wände entfernen und die freigelegten Steine zur Geltung bringen. Die Gegenwart abmontieren. Alles wieder so herrichten, wie es einst gewesen war, und es dann insgesamt sehr hell ausleuchten.
    In allen Räumen des Erdgeschosses gab es diese erstaunlichen Decken, selbst in der Speisekammer mit ihrem Betonfußboden und der uralten Kühltruhe, die an ein frei hängendes elektrisches Kabel angeschlossen war. »Erinnern sie dich nicht an die Kirche in Netherholt?«, flüsterte er Veronica zu.
    Veronica lächelte, und Anthony sah, dass es jenes nachsichtige Lächeln war, mit dem sie vielleicht ein Kind bedenken mochte, aber es scherte ihn nicht, weil er jetzt aufgeregt war, richtiggehend

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