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Der unausweichliche Tag - Roman

Der unausweichliche Tag - Roman

Titel: Der unausweichliche Tag - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Madame Besson. »Wir warten im Moment auf den Landvermesser. Der soll das klären.«
    »Ich bin der Meinung, Sie hätten uns als Ihre Maklerinnen darüber informieren sollen, über diesen … Familienzwist, Monsieur Lunel«, sagte Madame Besson. »Ich kann dieses Haus keinem weiteren Interessenten zeigen, solange es Unstimmigkeiten über die Grundstücksgrenzen gibt.«
    »Nein, nein!«, schrie Lunel. »Es gibt keine Unstimmigkeiten. Es gibt keinen ›Zwist‹. Sie werden sehen. Es wird sich alles regeln. Sobald ich diesen Landvermesser in Ruasse dazu gebracht habe, seinen Arsch hochzukriegen …«
    Madame Besson erhob sich und gab auch den anderen ein Zeichen, ihr zu folgen. Lunel packte Madame Besson am Ärmel. »Gehen Sie nicht!«, flehte er. »Mir gefallen diese Käufer. Die Britanniques haben Geld. Sie haben ihren Tee noch gar nicht ausgetrunken. Lassen Sie mich ihnen doch noch die Obstterrassen zeigen …«
    »Nein, es tut mir leid, wir müssen gehen«, sagte Madame Besson, entzog ihm ihren Arm und sah auf die Uhr. »Wir haben jetzt einen Termin für ein Haus in Saint-Bertrand.«

A udrun schnitt gerade ihr Gras mit dem kleinen Benzinrasenmäher, als Aramon laut brüllend die Auffahrt heruntergehumpelt kam. Sie manövrierte den Mäher direkt in seine Richtung, und mit einem Mal dachte sie, wie unglaublich es wäre, ihm damit über die Füße zu fahren.
    »Mach ihn aus! Mach ihn aus!«, schrie er.
    Doch sie ließ ihn tuckernd neben sich stehen – wie eine scharfgemachte, einsatzbereite Waffe.
    Er hatte zu viel Pastis getrunken. Unruhig flackerte sein Blick in alle Richtungen. Die Sonne brannte auf seinen wüsten Schädel.
    »Ich habe einen Käufer!«, lallte er. »Das ist achtzig Prozent sicher. Neunzig Prozent sicher. Ein englischer Käufer, irgendein Antiquitätenhändler, stinkt vor Geld. Aber er zögert, der verfluchte Mistkerl! Er zögert, weil er deine Kate weghaben will, und ich habe den Maklertanten gesagt, sie wird auch weg sein!«
    »Du hast den Maklerinnen gesagt …«
    »Diese Chance lass ich mir nicht entgehen. Der Verkauf steht mir zu. Ich hab ein Recht darauf, pardi !«
    Audrun sagte nichts. Sie hielt den Griff des Rasenmähers fest umklammert. Sie malte sich aus, wie seine Füße als breite Fontäne aus Blut und Gewebe und Knochen über das Gras spritzten, genauso rosa wie der See aus ihren Träumen. Aramon kam näher getorkelt. »Der Landvermesser kommt morgen«, sagte er und fuchtelte mit einem Finger direkt vor ihrem Gesicht herum. »Und ich hab ihm gesagt, dein Haus ist illegal.«
    »Lass mich in Ruhe, Aramon«, sagte sie.
    »Hast du nicht gehört? Der Landvermesser kommt morgen früh. Und nächste Woche gibt es den Abrissbescheid für deine Kate. Und ich habe diesen blöden Maklertanten gesagt, ich kümmere mich drum. Ich habe ihnen gesagt …«
    Und dann wurde ihm schlecht. Sein Körper zuckte konvulsivisch, er hielt sich den Bauch und übergab sich auf ihren frisch gemähten Rasen. Audrun musste wegsehen, der Anblick war so ekelhaft, dass es sie würgte. Und sie überlegte, wo sie Aramon begraben würde, wenn sie ihn erst einmal getötet hätte; nicht in der Familiengruft in La Callune, wo ihre Eltern lagen. Sie würde ihn an irgendeinen ganz und gar unheiligen Ort bringen, an eine Stelle zwischen dornigem Ginster, wo niemand hinkam. Und Raubvögel würden ihn, angezogen vom Geruch seines grässlichen Fleischs, sauber zerhacken, so sauber, wie er in seinem ganzen Erwachsenenleben noch nicht gewesen war. Und all das war jetzt nur noch eine Frage der Zeit.
    Sie kehrte ihm den Rücken und begann wieder zu mähen, zog jetzt größere Kreise, ohne in seine Richtung zu blicken. Nach und nach überlagerte der Duft des frisch gemähten Grases den Gestank seines Erbrochenen. Wenig später war er fort, war wackelig die Auffahrt zum Mas Lunel hinaufgeschwankt. Sie stellte sich vor, wie er die Treppe zu seinem Zimmer hinaufkroch und auf sein Bett sank. Eigentlich hätte er die Weinstöcke trimmen sollen, aber stattdessen hatte er in seiner Höhle geschnarcht, während das Tageslicht auf die Wände fiel, und sie fragte sich, ob jetzt überhaupt der richtige Zeitpunkt war für das, was sie zu tun hatte …
    Sie hatte die Engländer gesehen, ihre eigenartig lauten Stimmen gehört. Und die kleinere der beiden Frauen war ein Stück den Weg hinuntergegangen und hatte die Kate angestarrt. Audrun hatte sie hinter ihren Spitzenvorhängen beobachtet. Die Frau wirkte wie ein Mann. Sie war nicht groß, lief aber

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