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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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Waplachow helfen konnte, hielt etwas ihn davon ab und entließ ihn nicht aus der Kaderabteilung, die für einige Tage zum Untersuchungs-Hauptquartier geworden war.
    Kurz vor dem Essen schaute er dennoch in den Kon­trollraum hinein.
    „Wie sieht es aus?“, fragte er.
    „Es gibt Durchstiche“, antwortete der Urku-Jemze, während er sich den Schweiß von der Stirn wischte.
    Dobrynin nickte und kehrte in die Kaderabteilung zu-rück.
    Dort aßen sie, dank der Aufmerksamkeit des Direktors, auch zu Mittag.
    Nach dem Essen strich Sofrontow die Namen der ersten vier aus der Liste der Verdächtigen.
    Am Abend hatte sich die Liste der Verdächtigen um vier weitere Namen verkürzt.
    Es blieb nur noch das Warten, und die beiden älteren Männer, die die verantwortungsvolle Aufgabe auf sich ge­nommen hatten, warteten geduldig, weil sie wussten, dass der Sieg am Ende ihrer sein würde.
    Am Abend des nächsten Arbeitstages lächelte der Urku-Jemze, trotz seiner gewaltigen Erschöpfung, dem hereinkommenden Dobrynin glücklich entgegen.
    „Nach dem Mittagessen gab es keine Löcher mehr“, sagte er.
    Dobrynin war selig. Er umarmte Waplachow und eilte in die Kaderabteilung. Umgehend berichteten er und Sofrontow Fomitschew und Major Sokolow davon, dass nur noch vier Verdächtige übrig waren.
    „Na gut“, sagte Sokolow zufrieden. „Das heißt, weiter geht es so: Zwei der vier Arbeiterinnen werden morgens ab­kommandiert, die anderen beiden nachmittags. Abends berichten Sie.“
    Die Sache ging ihrem Ende entgegen. Der Kreis schloss sich um die Frau, und als Dobrynin erkannte, dass nach dem Abschluss dieser Sache das Leben wieder monoton und traurig sein würde, verlor er seinen Eifer. Noch ein, zwei Tage, dachte er, und wieder würden er und Waplachow acht Stunden am Tag Rotarmisten, Arbeiter und Bauern aufblasen, und wenn das so weiterging, dann würde ihm der Geschmack von Gummi und Talk bis an das Ende seines Lebens im Mund zurückbleiben.
    Einen Tag später gab es von den Verdächtigen nur noch zwei: Matrossowa und Sabolozkaja. Spät am Abend, als er in der Kaderabteilung saß, sah Dobrynin sich noch einmal ihre Personalakten an, las ihre Beurteilungen, überprüfte die Listen der bezahlten Gewerkschaftsbeiträge und auch die Beiträge zu anderen gesellschaftlichen Organisationen. Nein, dachte Dobrynin, die Sabolozkaja ist es nicht. Die Sabolozkaja ist eine anständige und gewissenhafte Arbeiterin. Fünf Ehrenurkunden, zwei Abbildungen in der „Sarsker Prawda“, die Stoßarbeiter-Anstecknadel. Übrig blieb die Matrossowa, eine zwanzigjährige Komsomolzin, aufgewachsen in einer Familie von Baptisten, wenig umgänglich, gelegentlich hochmütig, hatte zweimal die Generalversammlung der Fabrik vorzeitig verlassen, war ohne Auszeichnungen und wurde von den Genossinnen nicht besonders hoch geachtet. Je mehr Dobrynin über sie nachdachte, desto stärker war seine Überzeugung, dass gerade sie der ideale Schädling war. Und für Dobrynin wurde klar, dass Major Sokolow nicht Recht hatte, wenn er annahm, dass nur Verrückte die Augen von Gummirotarmisten ausstechen konnten. Nein, dachte der Volkskontrolleur, wenn die Matrossowa nun in einer Panzerfabrik arbeiten würde, dann wäre der von ihr angerichtete Schaden ja noch um vieles schlimmer; und was, wenn sie gar Krankenschwester in einem Feldlazarett wäre? Auf die letzte Frage wagte Dobrynin sich nicht einmal in Gedanken zu ant-worten. Wenn er allerdings an Menschen wie Sofrontow dachte, erkannte der Volkskontrolleur, dass ein Mensch mit einer Beurteilung wie die Matrossowa weder bei einer Panzer­fabrik noch in dem Feldlazarett angenommen worden wäre.
    Am Freitag schloss sich endgültig der Kreis um die Matrossowa. Dobrynins Verdacht wurde noch einmal bestätigt, als eine der Arbeiterinnen, die nichts von dem Vorgefallenen wusste, erzählte, dass die Matrossowa immer eine Ahle mit zur Arbeit brachte. Natürlich dachte diese wachsame Arbeiterin an etwas Schlimmeres, obwohl ein Mord kaum schlimmer sein konnte als Hass auf die Rote Armee.
    Spät am Freitagabend leuchtete in dem Gebäude der Fabrik einsam ein einziges Fenster – im Arbeitszimmer von Direktor Fomitschew.
    In der Mitte des Zimmers stand, noch immer im blauen Arbeitsanzug, rot und verweint, Soja Matrossowa, ein eigentlich sehr hübsches Mädchen, schlank, mit kastanienbraunem Haar, das ihr auf die Schultern fiel.
    Fomitschew saß hinter seinem Schreibtisch. Daneben saßen Major Sokolow, Dobrynin und der Leiter der

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