Der und kein anderer Roman
der sich alle Mühe gab, seine Augen aus ihrem Ausschnitt zu nehmen. »Mama, wir müssen über diese Sache zwischen Sawyer und dir reden.«
»Er heißt Wayland. Und es gibt nichts zu besprechen.«
»Das ist aber nicht das, was er mir sagt.«
Sie versteinerte. »Er hat mit dir gesprochen? Dazu hatte er kein Recht.«
»Er möchte gerne, dass ich zwischen euch beiden den Vermittler spiele.«
»Ich kann nicht glauben, dass er mit dir gesprochen hat.«
»Da wir einander beide nicht sonderlich gewogen sind, war es nicht die angenehmste Unterhaltung meines Lebens. Andererseits bin ich nicht derjenige, der sich in ihn verliebt hat. Es fällt also nicht so sehr ins Gewicht.«
Er wartete auf ihren Widerspruch. Er hoffte, ihre Stirn würde sich empört in Falten legen. Doch sie wandte nur den Kopf ab. »Er hatte kein Recht, dich in die Sache mit hineinzuziehen.«
Seine Mutter liebte einen anderen. Eigentlich hätte ihn diese Tatsache wütend machen sollen. Doch zu seiner eigenen Überraschung empörte es ihn nicht halb so sehr, wie er erwartet hatte.
Er wählte seine Worte mit Umsicht. »Was wäre, wenn du damals gestorben wärst, Mama? Und wenn Papa nach vier Jahren jemanden getroffen hätte, der ihm sehr am Herzen läge, jemanden, der ihm seine Einsamkeit vertreiben würde.« Nachdem er dieses Gespräch so lange hinausgezögert hatte, hatte er nun das Gefühl, genau das Richtige zu tun. Außerdem verspürte er das merkwürdige Gefühl, als ob Gracie ihm die Hand halten würde. »Und was wäre, wenn er genau das täte, was du jetzt tust: diesen Menschen seiner Gefühle wegen aus seinem Leben auszugrenzen. Was würdest du dann wollen, das ich zu diesem Menschen sage?«
»Das ist nicht das Gleiche.«
Er spürte ihre Anspannung, ließ jedoch nicht locker: »Ganz im Gegenteil, es ist sogar haarscharf dasselbe.«
»Du hast das alles nicht durchgemacht! Du begreifst es nicht!«
»Das ist wohl wahr. Ich stelle mir nur vor, was ich zu ihm sagen würde. Ich stelle mir vor, du würdest wollen, dass ich ihm rate, er solle den Rest seines Lebens einsam und allein
bleiben. Er soll das tun, was du jetzt tust, nämlich diesem Menschen den Rücken kehren. Und den Rest seines Lebens soll er dir zu Ehren Kerzen anzünden.«
»Ich verstehe nicht, warum du mich mit dieser Sache bedrängst! Du kannst Wayland noch nicht einmal leiden. Das hast du selbst zugegeben.«
»Nein, ich kann ihn nicht leiden, aber eines sage ich dir – ich habe jede Menge Respekt vor dem Mistkerl.«
»Werde nicht unflätig«, rügte sie automatisch. Dann schossen ihr Tränen in die Augen. »Bobby Tom, ich kann es nicht. Dein Vater und ich …«
»Ich weiß sehr wohl, was ihr füreinander empfunden habt, Mama. Ich habe es jeden Tag gesehen. Vielleicht ist das auch der Grund, warum ich selbst keine besonders große Neigung zur Ehe verspüre: Weil ich immer genau das auch für mich gewünscht habe.«
Er dachte an Gracie. In dieser Sekunde wurde ihm blitzartig klar, dass er genau das haben könnte, was seine Eltern so viele Jahre miteinander geteilt hatten. Die Erkenntnis kam so jäh, dass er fast gestolpert wäre. Mein Gott! Während er seine Mutter im Arm hielt, spürte er die Gegenwart seines Vaters und wusste, dass genau diese Art der Nähe auf der anderen Seite der Tanzfläche auf ihn wartete. Er liebte sie. Diese plötzliche Gewissheit ließ ihm die Knie weich werden. Er liebte diese Gracie Snow – die merkwürdige Kleidung, ihren Befehlston, ihr Lachen, einfach alles. Sie war sein Amüsement, sein Gewissen, der Spiegel seiner Seele. Sie war der Ort, an dem er sich ausruhen konnte. Warum nur hatte er das nicht schon vor Wochen begriffen?
Er hatte sich daran gewöhnt, sein Leben lediglich aus einem ganz bestimmten Blickwinkel heraus zu betrachten und daher seine wirklichen Bedürfnisse nicht mehr erkannt. Er hatte Gracie mit den Sexsirenen verglichen und sie zur Verliererin erklärt, nur weil sie keinen großen Busen besaß.
Er hatte die unleugbare Tatsache verdrängt, dass Frauen, die es lediglich auf gutes Aussehen und auf Partys abgesehen hatten, ihn bereits seit Jahren langweilten. Er hatte die Tatsache übersehen, dass der Blick in Gracies ausdrucksstarken grauen Augen und diese ungestümen Locken ihn total fesselten. Warum nur hatte er sich so an die Vorstellung geklammert, dass es diese Sexbomben waren, die er begehrte? Gracie hatte Recht. In seinem Alter hätte er eigentlich seine echten Bedürfnisse schon lange kennen müssen. Stattdessen
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