Der und kein anderer Roman
erlernt? Plötzlich wollte er die alte Gracie mit ihrem braun-weißen Kleid und dem lächerlichen Bauernzopf wieder zurückhaben. In Gegenwart seiner alten Gracie hatte er sich wohl gefühlt. Die Tatsache, dass er selbst für ihre Verwandlung in eine heiße Wildkatze verantwortlich war, setzte ihm noch mehr zu.
»Ist es dir eigentlich schon mal in den Sinn gekommen, dass es mir nicht gefallen könnte, wenn meine Verlobte der gesamten Stadt ihre Brüste zur Schau stellt?«
Sie senkte den Blick und ihre Hand flog zu dem geöffneten Knopf. »Oh, mein Gott.«
»Ich habe keine Ahnung, was dir heute Abend in die Glieder gefahren ist. Doch schlage ich vor, dass du dich
jetzt etwas beruhigst und dich wie eine verlobte Frau benimmst.«
Ihr Blick kreuzte seinen. Sie musterte ihn lange, dann biss sie die Zähne zusammen und öffnete einen zweiten Knopf.
Er war so überrascht von ihrem Widerstand, dass er einige Sekunden brauchte, bis er seine Fassung wiedererlangt hatte. »Was tust du denn da?«
»Hier ist doch niemand. Mir ist heiß, und du bist mir gegenüber immun. Es fällt also gar nicht weiter auf.«
Ihr war heiß, das stimmte, und ihm ging es nicht anders. Er hatte keine Ahnung, was heute Abend in sie gefahren war, doch würde er sie in ihre Schranken verweisen. »Ich habe niemals behauptet, dir gegenüber immun zu sein«, fauchte er. »Du bist doch eine Frau, nicht wahr?« Sie riss die Augen auf. Es war ein blöder Witz gewesen, und er schämte sich sofort dafür. Seine Scham verschlimmerte sich noch, als der überraschte Gesichtsausdruck auf ihrem Gesicht sich in Besorgnis verwandelte.
»Dein Knie tut dir weh, nicht wahr? Deswegen bist du den ganzen Abend schon so schlecht gelaunt gewesen.«
Man musste es nur Gracie überlassen, eine Entschuldigung für sein widerborstiges Verhalten zu finden. Sie wollte nur das Gute im Menschen sehen, eine Tatsache, wegen der die ganze Welt sie ausnutzte. Doch würde er ihr ihre Illusionen nicht zerstören und ihr gestehen, dass sein Knie überhaupt nicht schmerzte. Er bückte sich und rieb das Knie durch die Jeans hindurch. »Manche Tage sind schlimmer als andere.«
Sie umfasste sein Handgelenk. »Jetzt fühle ich mich hundsmiserabel. Ich habe mich so gut amüsiert, dass ich nur an mich selbst gedacht habe. Lass uns nach Hause gehen, dann kann ich dir etwas Eis auflegen.«
Er kam sich wie der widerlichste Lügner vor. »Ich sollte es bewegen, damit es nicht versteift. Lass uns lieber tanzen.«
»Bist du dir wirklich sicher?«
»Aber klar doch. Jetzt spielen sie gerade George Strait, nicht wahr?«
»Tatsächlich?«
Er nahm sie bei der Hand und zog sie an sich. »Willst du mir etwa sagen, dass du George Strait nicht kennst?«
»Mit Country-Sängern bin ich nicht sonderlich bewandert.«
»Hier in Texas gilt er wohl eher als eine religiöse Institution.« Doch statt mit ihr ins Gebäude zurückzukehren, presste er sie eng an sich und begann sich zu bewegen. Sie tanzten zwischen einem alten Fairlane und einem Toyota, und ihr Haar duftete nach Pfirsichen.
Während ihre Stiefel auf dem Schotter des Parkplatzes knirschten, konnte er nicht widerstehen, seine Hand unter den Saum ihrer Weste gleiten zu lassen und sie ihr ins Kreuz zu legen. Er spürte ihre Wirbelsäule, er fühlte ihre weiche Haut. Ihr Schaudern erinnerte ihn daran, dass ihre Sehnsucht nach einem Mann so übermächtig war, dass sie sich möglicherweise dem ersten sie umschmeichelnden Mistkerl an die Brust werfen würde.
Diese Vorstellung beunruhigte ihn. Er schämte sich nicht zuzugeben, dass er Gracie mochte. Und ganz sicher wollte er nicht, dass sie sich für jemanden auszog, der sie nicht liebevoll behandelte. Wenn sie sich nun einem von diesen Mistkerlen hingeben würde, die viel zu egoistisch waren, um sich zu vergewissern, dass sie auch wirklich geschützt war? Oder irgend so einem sexbesessenen Mistkerl, der sie zu grob ritt und ihr Vergnügen am Sex für ewig zerstörte? Für eine so verzweifelte Frau wie Gracie warteten dort draußen jede Menge Desaster.
Bereits viel zu lange hatte er die Wahrheit nicht akzeptiert. Doch jetzt war es an der Zeit, dies nicht länger hinauszuschieben. Falls er sich auch weiterhin jeden Morgen selbst
im Spiegel ins Gesicht gucken wollte, musste er seine Abneigung gegen aus Mitleid gebotenen Sex aufgeben und tun, was zu tun war. Sie war seine Freundin, verdammt, und er hatte noch niemals seinen Freunden den Rücken gekehrt. Er hatte also gar keine andere Wahl. Nur wenn
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