Der unersättliche Spinnenmann
Ich könnte einen Roman schreiben.«
»Wir könnten alle einen Roman schreiben.«
»Warum?«
»Wir leben alle gern in einem großen Roman. Wir Kubaner sind geborene Romanfiguren.«
»Du bist zynisch.«
»Gerade so zynisch, um zu überleben.«
»Uff …«
Noch einmal schließt sie die Augen. Sie sieht aus, als ob sie leidet.
»Geh auf die Dachterrasse, Yesika. Kühl dich ein bisschen ab.«
Sie ging einen Moment hinaus. Ich holte ihr ein Glas Wasser. Gleich darauf kam sie wieder ins Wohnzimmer. Sie wollte das Wasser nicht. Ich ging hinter ihr her, das Glas in der Hand. Sie öffnete die Wohnungstür, trat ins Treppenhaus. Dann sagte sie, in ihrer gewohnten Art voller Gelassenheit, Ruhe und guten Manieren, die fast schon an Eleganz grenzten:
»Ich gehe. Vielen Dank. Entschuldige die Störung. Ich … ich glaube, du und ich, wir sind uns ähnlich.«
»Wir alle sind uns ähnlich.«
»Wer sind wir alle?«
»Alle.«
Mammutjäger
Es war ein ganz normaler Augusttag: stechend heiße Sonne, brütende, feuchte Hitze. Ich fuhr früh an den Strand und ergatterte ein bisschen Schatten unter einer Palme. Viele Menschen. Hinter den Dünen waren Busse, Autos und LKWs auf einem engen Sandweg geparkt, der die Hauptstraße mit diesem Strand verbindet.
Das Meer ruhig und grünlich blau, kaum Wind. Ich versuchte, die Menschenmenge nicht wahrzunehmen und mich aufs Meer zu konzentrieren, auf das Blau und Grün. Dann kam ein Bus mit Ausflüglern. Vierzig oder fünfzig Personen. Leute vom Land. Man erkennt sie schon von weitem, wie überall auf der Welt. Hastig steigen sie aus, rennen fast über den Sand und suchen ein Plätzchen, um es in Beschlag zu nehmen, sich mit ihrer Familie niederzulassen und Grenzen zu ziehen. Sie verstreuten sich in der Umgebung. Einer von ihnen kam näher. Er trug ein paar zugeschnittene Holzpfosten, gehobelt und gut zusammengeschnürt, einige Enden Draht und ein Stück Stoff. Ein sehr emsiger Mulatte. Er wählte einen Platz zwei Meter von mir entfernt in der Sonne und verlor nicht eine Sekunde. Frenetisch legte er los. Man konnte es seinem Gesicht ansehen, und jeder seiner Gesten: zwanghaft frenetisch, mit einem klaren Eigentumsbegriff und großem Verantwortungsgefühl für die Familie.
Er rief seine Frau, eine dicke, dunkle Mulattin mit großen Brüsten. Ihre riesigen Titten quollen nur so über vor Milch. Sie trug einen wenige Monate alten Säugling auf dem Arm. Die beiden hatten noch zwei weitere Kinder von vielleicht drei oder vier Jahren. Der Typ war sehr dünn. Seine Frau sehr breit. Der Typ sagte seinem älteren Sohn, er solle einen großen Stein suchen, um damit die Pfosten in den Sand zu hämmern. Der Junge versuchte es, aber ohne große Lust. Der Typ setzte mit vier langen Schritten zu einem ordentlichen Stein hinüber. Schnell schnappte er ihn sich und legte damit los. Er klopfte die vier Pfosten in den Sand und legte den Stein in Reichweite zur Seite, für den Fall, dass er ihn noch mal brauchen würde. Jeden Pfosten ließ er zwei Meter aus dem Sand hervorragen. Dann schlug er Keile ein und spannte Drähte, um die Pfosten zu stabilisieren, die sich in Säulen verwandelt hatten. Als Dach brachte er das Stück Stoff an und band es mit Bindfäden fest, die er in der Tasche trug. Er hatte alles bestens geplant. In wenigen Minuten hatte er ein Häuschen gebaut. Das Baby begann zu weinen. Die Frau schlüpfte in das Häuschen, holte eine Brust heraus und steckte sie dem Säugling in den Mund. Die beiden anderen fingen an zu quengeln, weil sie Hunger hatten. Der Typ rannte los. Zehn Minuten später kam er mit einer Tüte Brot und Kroketten und einer großen Flasche Limonade zurück. Gerecht teilte er alles unter den Kindern und seiner Frau auf. Die meinte, er solle auch etwas essen. Er antwortete: »Später. Jetzt nicht.« Er war richtig ernst bei der Sache. Kein einziges Mal lächelte er die ganze Zeit über oder schaute sich um. Er konzentrierte seine ganze Energie auf diese Aufgaben. Die Frau beklagte sich:
»Ich bin hundemüde. Dieses Kind wiegt so viel, und du hilfst mir nicht.«
Der Typ nahm das Kind auf den Arm, das nach dem Trinken eingeschlafen war. Die Frau sagte ihm, er solle die beiden anderen nicht aus den Augen verlieren, die am Wasser spielten. Sie legte sich hin, nahm eine Tasche als Kopfkissen und schlief augenblicklich ein. Sie schnarchte. Machte ein einstündiges Nickerchen. Der Typ passte auf die Kinder auf und sorgte dafür, dass sie keinen Krach
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