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Der unersättliche Spinnenmann

Der unersättliche Spinnenmann

Titel: Der unersättliche Spinnenmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pedro Juan Gutierrez
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Das Gras wächst hoch, und niemand sieht einen. Dort setzte ich mich ruhig hin. Ich wollte nicht gestört werden und auch keine Leute neben mir reden hören. Fünfzig Meter weiter geht die Autobahn vorbei, die im Süden um die Stadt herumführt. Ich trank und rauchte in aller Ruhe. Dann legte ich mich ins Gras zurück und schlief ein. Ich schlief tief und fest. Als ich erwachte, war es schwarze Nacht geworden und der Himmel von Sternen übersät. Wunderschön. Auf der Autobahn fuhren nur wenige Autos vorbei. Fast gar keine. Ich blieb im Gras liegen, sah zwischen den Bäumen zu den Sternen hinauf und fühlte mich weit weg und ganz ruhig.
    Da fiel mir ein Maiabend von vor mehr als zwanzig Jahren ein. Ich arbeitete damals in den Sümpfen von Batabanó, im Süden von Havanna. Es war ein herrlicher Sonnenuntergang, und ich ging zwischen den Reisfeldern über eine Ebene. Plötzlich flog von den Lagunen und Sümpfen um mich her ein Schwarm grünblauer Enten auf. Sie schnatterten und flogen in weiten Kreisen immer höher. Andere Enten stießen schnatternd zu ihnen. Hunderte von Enten. Ich weiß nicht, wie viele. Vielleicht zwei- oder dreitausend. Sie formierten sich zu einem Dreieck, ein riesiger Schwarm. So kreisten sie über mir, stiegen immer weiter in die Höhe und riefen die anderen. Staunend sah ich zu. Ich wusste nicht, dass sie so hoch fliegen können. Schließlich nahmen sie den Kurs Richtung Nordnordost und flogen davon. Mit ihnen flog auch der Nachwuchs, der dort geboren worden war. Die Jungenten hatten keine Ahnung, wie lang und hart die Reise werden würde. Sie wussten nicht, dass die Schwächsten unterwegs ihr Leben verlieren würden. Es war ein herrliches Schauspiel, und ich habe das niemals wieder erlebt.
    Als dies geschah, waren die Dinge für mich leichter oder einfacher. Oder die Zeiten waren besser. Oder die Menschen brauchten weniger zum Leben. So ungefähr. Ich weiß nicht genau. Vielleicht war ich nur jünger und wusste nicht so viel oder dachte weniger nach. Jetzt verstehe ich viel mehr. Auf den Grund der Dinge zu sehen ist ein großes Problem. Es kann tödlich sein.
    Ich steckte die Hand in die Tasche, fühlte den kleinen chinesischen Dolch und dachte, dass es keinen Ausweg gab.
    Alles konnte furchtbar sein. Ich dachte, dass die Liebe ein ungewöhnliches Gefühl ist in dieser chaotischen Zeit. Hoffentlich lernen die Menschen in der Zukunft, sich nicht gegenseitig so viel Hass und Kränkungen anzutun.
    Ich lachte über mich selbst. Wer sollte mir das glauben? Buddha oder Jesus Christus? Die Menschen werden immer gleich bleiben. Ich schloss die Augen und sah wieder all jene schnatternden Enten mit ihren herrlichen Farben, die im goldenen Licht des Sonnenuntergangs glänzten. Sie flogen froh und frei. Sie flogen über meinem Kopf.

 
     
     
     
Ein gutes Team
     
     
    Iván war achtundvierzig, ein exzellenter Fotograf und ein lustiger Typ, sympathisch und ein bisschen philosophisch. Aber er litt unter einem unheilbaren Wahn, seit er mit sechs Jahren ins Leichenschauhaus gehen musste, um den Leichnam seiner Mutter zu identifizieren: Ein Liebhaber hatte sie mit Messerstichen getötet. Die Leiche war ziemlich zugerichtet, weil der Typ versucht hatte, sie zu zerstückeln, aber es nicht völlig geschafft hatte. Das Messer war zu stumpf gewesen. Seitdem überraschte Iván mit unerwarteten Reaktionen und lebte ständig auf der Flucht vor irgendetwas. Ich zumindest hatte diesen Eindruck.
    Chiquito war der Fahrer. Er war Ringer in der Oberliga gewesen, griechisch-römischer Stil, vierundzwanzig Jahre alt, maß zwei Meter und wog zweiundneunzig Kilo. Und auch er war fröhlich. Ich war dreißig Jahre alt und ein idealistischer, romantischer Typ voll guter Absichten, überzeugt davon, dass die Menschheit sich in zwei Lager teilte: die Guten und die Bösen. Ich war bei der Truppe der Guten, Heldenhaften, Treuen und Selbstlosen. Fühlte mich richtig gut bei meiner Arbeit als Reporter. Alle drei hatten wir einiges gemein: Wir waren zufriedene kleine Machos mit Dauererektion, ordentliche Trinker, Frauenhelden, aufrechte Verteidiger von Wahrheit, Gerechtigkeit und all diesen Sachen, und wir respektierten die geltende Ordnung. So sehr, dass wir nicht mal wussten, dass es eine geltende Ordnung gab. Wir hatten sie im Blut, wie ein Virus, und wussten es gar nicht. Wir waren ein gutes Team.
    Zwanzig Jahre sind seither vergangen. Von hier aus sehe ich auf jene Phase meines Lebens und staune darüber, wie leicht es ist,

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