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Der ungeladene Gast

Der ungeladene Gast

Titel: Der ungeladene Gast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Jones
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mineralische Erde auf ihrer Zunge; ihre Hände umklammerten Ernests Unterarme und kämpften um Halt. Sie spürte die Hitze seines Körpers ganz nah an ihrem, im Inneren seiner jetzt völlig ruinierten Kleider, und roch einen Hauch von Zitrone. Sie sah zu ihm auf, er auf sie hinunter. Sie umarmten einander, sanken mit den Knien immer tiefer in die urzeitliche Blumenrabatte ein.
    Seine Brille war heruntergefallen. Das Lampenlicht leuchtete ihn an. Sie hatte die Farbe seiner Augen völlig vergessen gehabt. Sie legte eine matschige Hand an seine Wange, berührte sein Ohr und spürte, wie das unschlüssige, ängstliche Zentrum ihres Ichs frohlockte.
    »Du bist ein Engel«, sagte er.
    »Nein …« Der Gedanke an ihre Mutter ließ sie innehalten, und sie sagte mit erstickter Stimme: »Das ist keiner von uns.«
    »Dann bist du eben Emerald!«, sagte er und zog sich matschige Lippen zu, als er die Finger ihrer eisigen Hände küsste.
    Triefnass, wie Emerald war, hätte sie vor Glück tanzen können, während die Sterne auf sie herabschienen, als wollten sie sie mit einem Funkenregen bedecken.
    Noch heute Morgen habe ich hier vor diesem Blumenbeet geweint, dachte sie und schmiegte die Wange an Ernests gesenkten Kopf.
    Der Wind war nur noch ein Flüstern. Der Regen – welch ein Wunder! – hatte ganz und gar aufgehört. Emerald fing zu zittern an.
    »Sollen wir eine Taube ausschicken?«, sagte Ernest, gefolgt von: »Ich habe meine Brille irgendwo verloren.«
    Gemeinsam tasteten sie im Matsch herum, bis sie sie gefunden hatten.
    Während Smudge friedlich schlief, machten sich die völlig matschverkrusteten Männer, verstärkt durch einen innerlich jubelnden Ernest, auf der Galerie des großen alten Hauses mit Picken und roher Gewalt über die Mauer her.
    Schwarz wie Bergleute von der dunklen Erde, machten sie sich daran, Verputz und Verschalungen zu zerstören. Knochentrocken splitterte alles unter ihren Schlägen. Staub und Farbpartikel, vermischt mit Pferdehaar, stoben in Wolken auf, und bald, sehr bald, kam Smudges kleines Schlafzimmer in Sicht, wie Glöckchens Wohnung in Peter Pan , nur karger und schäbiger.
    Unter ihnen beobachteten die blassen Horden der Reisenden stumm und ehrfürchtig dieses brutale Treiben, das sie, wenn auch nur kurz, von ihrer unterbrochenen Reise ablenkte.
    Der Lärm weckte Smudge, die das Pony zurückließ und zu ihrer Schlafzimmertür lief, um ebenfalls zuzusehen.
    »Oh«, sagte sie. »Das alte Haus!«
    Von ihrer Seite aus war der Anblick noch merkwürdiger. Jenseits des Lochs in der Wand öffnete sich das riesige alte Haus wie eine weite Unterwasserwelt, die man von einer behaglichen Schiffskabine aus durch ein Bullauge erblickt; das Geländer der langen Galerie; die vielen Bettenreihen, die kreidebleichen Passagiere tief unten, die zu ihr aufblickten, die tanzenden Schatten, die das Feuer warf. Das hier war wirklich ein überaus seltenes Abenteuer.
    »Hallo!«, rief sie ihnen zu. »Hallo! Hallo!«
    »Räum das hier beiseite«, sagte Clovis zu ihr und kickte ein paar Gesteinsbrocken von der Lücke weg – die inzwischen fast zwei Meter breit war –, damit das Pony hindurchgehen konnte.
    Patience stand hinter den Männern auf der Galerie und gab aufgeregte und besorgte Geräusche von sich. Florence und Charlotte standen neben ihr, und Emerald betrachtete das Wunder, das Ernest war, und durchlebte noch einmal die Umarmung im Blumenbeet.
    »Ich finde, es ist an der Zeit, es zu versuchen. Meint ihr nicht auch?«, sagte Clovis.
    Während Smudge und er das Pony beibrachten, liefen Emerald und Ernest zum Stall, um Levi zu holen, der als Ermutigung für das Pony in der Tür stehen sollte. Patience, Charlotte und Florence bauten sich an unterschiedlichen Stellen als menschliche Barrieren auf, um Lady daran zu hindern, über die Galerie zu stürmen und die Bettenreihen zu zertrampeln, die sie so mühevoll aufgebaut hatten.
    Als Smudge das Pony in ihr Schlafzimmer brachte und Lady sah, dass dort, wo vorher eine Wand gewesen war, eine Öffnung gähnte, blieb sie stehen und starrte.
    »Blödes Tier«, sagte Charlotte.
    »Sollte vielleicht jemand anders sie hinunterführen?«, fragte Patience besorgt.
    »Nein«, rief Smudge völlig außer sich. »Sie ist mein Pony!«
    Beim Anblick von Smudges untröstlichem Gesicht murmelte Charlotte: »Imogen würde es gern selbst tun«, und sie ging langsam auf sie zu. »Smudge?«, sagte sie leise und streckte ihr die Hand hin.
    »Es tut mir leid, Mutter«, sagte

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