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Der ungeladene Gast

Der ungeladene Gast

Titel: Der ungeladene Gast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Jones
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unten bekommen?«
    »Habe ich schon erwähnt«, sagte Ernest, »dass der Künstler Stubbs sich damit begnügte, seine Pferdeporträts in Ställen anzufertigen, und erwiesenermaßen sehr gut damit fuhr?«
    »Sie hat die Bilder der anderen Tiere an ihren Wänden«, sagte Clovis als Erklärung für die Exzentrizität seiner Schwester. »Es wäre nicht dasselbe gewesen.«
    »Verzeihung«, sagte Ernest.
    »Keine Ursache«, erwiderte Clovis großzügig. »Nach normalen Begriffen ist Smudge tatsächlich absolut verrückt. Wir sind einfach nur an sie gewöhnt.«
    Am Kopf der Haupttreppe blieb Emerald stehen, fasste sich und ging weiter. Ernest war keineswegs ein Fall für die Irrenanstalt (bei ihrer Schwester sah das möglicherweise anders aus). Das Pony und das Kind trugen auf dem Treppenabsatz tatsächlich einen stummen Kampf aus. Das Pony war Smudge auf die Zehen gestiegen und lehnte nun trotzig an der Wand und betrachtete eine venezianische Landschaft, während Smudge, die vor Schmerz fast ohnmächtig wurde, vergeblich versuchte, das Tier von ihrem Zeh herunterzustoßen. Aber Lady war anscheinend taub geworden, hörte nicht auf ihre Anweisungen und verlagerte ihr Gewicht noch stärker auf den Fuß der armen Smudge.
    »Mein Gott!«, rief Emerald und eilte ihr zu Hilfe. Gemeinsam entfernten sie den Huf, und Smudge hüpfte auf und ab und umklammerte ihren Fuß, während ihr die Tränen über das Gesicht liefen.
    »Sie hat es nicht mit Absicht getan«, sagte sie, als sie wieder Luft bekam.
    »Unsinn. Sie ist ein hinterhältiges Biest«, rief Emerald und versetzte Lady einen klatschenden Schlag gegen die Brust. Lady, die wusste, wann sie es mit ernst gemeinten Disziplinarmaßnahmen zu tun hatte, ging nicht zum Gegenangriff über, sondern klapperte nur in hilfloser Empörung mit den Zähnen.
    »Wie um alles in der Welt sollen wir sie bloß die Treppe runterbekommen?«, fragte Emerald, woraufhin Smudge erneut in hilflose Tränen ausbrach.
    »Ich dachte, du weißt eine Lösung«, jammerte sie.
    »Ruhig, ganz ruhig.« Emerald tätschelte ihre Schulter und sah sich auf der Suche nach einer Inspiration um. »Bringen wir sie zur großen Treppe.«
    Vom Kopf der Treppe aus blickte das Pony auf Charlotte, Florence, John, Patience, Ernest und Clovis hinab, die ihrerseits zu ihm aufblickten.
    »Also wirklich, Imogen!«, ächzte Charlotte mit theatralisch gedämpfter Stimme.
    »Tut mir leid, Mutter«, sagte Smudge.
    »Es ist nicht zu fassen«, kam es von Clovis. »Sie sieht größer aus als sonst.«
    »Ich bin gewachsen«, sagte Smudge.
    »Nicht du. Das Pony!«
    »Na ja, sie misst fast fünfzehn Handbreit, wie ich euch immer sage.«
    »Ich nehme an, sie wird nicht einfach so nach unten kommen?«, fragte Patience, die ewige Optimistin, ungeachtet der Tatsache, dass die Treppe nicht einmal mit Teppich ausgelegt war.
    »Keine Chance«, antwortete Clovis fröhlich. »Vielleicht könnten wir ihr eine Schlinge umlegen und sie aus dem Fenster herunterlassen.«
    »Pass auf, sonst lege ich dir gleich eine Schlinge um und werfe dich aus dem Fenster«, explodierte Smudge, und er stellte seine Neckereien ein.
    »Wir könnten Teppiche und Läufer zusammensuchen und sie auf die Treppe legen, damit sie wie eine Art Rampe aussieht«, kam es von Ernest, und da dieses Unternehmen Aussicht auf Erfolg versprach, machten sie sich unverzüglich an die Arbeit.
    Die Teppiche wirkten so solide, dass ein Pony sich vielleicht zu der Annahme verleiten lassen würde, es handele sich um einen Abhang, wie er auch in einer natürlichen Landschaft zu finden war, aber als Lady einen Huf daraufsetzte, gerieten sie in Bewegung und überzeugten das ohnehin schon misstrauische Tier, dass es in eine Falle gelockt werden sollte und die Wölfe jeden Augenblick über es herfallen würden. Eine Zeit lang zögerte es am Kopf der persischen Rampe und wich dann nach hinten zurück, bis es gegen die Wand stieß.
    »Die Begeisterung hält sich in Grenzen«, sagte Clovis.
    »Allerdings«, stimmte Patience zu.
    »Hafer«, sagte Emerald.
    »Ich hole welchen«, rief Clovis und sprintete zu den Ställen.
    Der Hafer wurde gebracht. Das Pony schnupperte daran, trat einen Schritt vor, fraß die Körner, spürte erneut den beweglichen Untergrund der Teppiche und weigerte sich, auch nur einen weiteren Schritt zu tun. Mehr Hafer wurde ihm angeboten, auf der Hand und auf die Teppiche gestreut und schließlich aus einem Eimer auf den halben Absatz gekippt, aber Gier und Hunger erwiesen sich nicht

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