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Der ungeladene Gast

Der ungeladene Gast

Titel: Der ungeladene Gast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Jones
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Ställen und ihren Bewohnern zu beobachten.
    »Guter Mann, danke«, sagte er mit einem Lächeln zu Stanley, gefolgt von einem »Brav, stillgestanden« an Ferryman, der in seiner Ungeduld, endlich loszukommen, mit den Hufen über das Kopfsteinpflaster scharrte, dass die Funken nur so stoben.
    Emerald saß still auf Levi, der voller Stolz und Vorfreude den glänzenden schwarzen Hals reckte. Er war, damals vierjährig, ein Geschenk ihres Vaters zu ihrem zehnten Geburtstag gewesen, und ihr Umgang miteinander war unendlich vertraut. In der Erwartung, dass er eine Höhe von siebzehn Handbreit erreichen würde, hatte man ihm den Namen Leviathan gegeben. Diese Erwartung hatte er nicht erfüllt und war eher kleinwüchsig geblieben, dafür aber war er vom Charakter her exzessiv anhänglich. Er besaß die Loyalität der Schwachen.
    Klappernd verließen sie den Hof und versuchten, die Pferde, die den machtvollen Frühling witterten und mochten, einigermaßen ruhig zu halten.
    Emerald war nie im Damensattel geritten, sondern hatte immer schon, was viel bequemer war, den Herrensitz vorgezogen, und zwar lange bevor er sich bei modernen jungen Frauen durchsetzte. Charlotte, die in, unter und zwischen vielen Beschäftigungen und Welten aufgewachsen war, eine davon die Welt der Pferde, war seit jeher der unkonventionellen Überzeugung, der Damensattel sei eine lächerliche Vorrichtung, mit der weder Dame noch Pferd gedient war. Wegen ihrer vermeintlich obszönen Art des Reitens mit gespreizten Beinen wurde Emerald nicht zur Jagd eingeladen, aber falls ihre vielleicht unüblichen Reitvorlieben ein Grund dafür waren, dass die Torringtons nicht Teil der besseren Gesellschaft der Umgebung geworden waren, so zweifellos nicht der einzige.
    Zum Reiten bevorzugte Emerald weiche Männerstiefel mit braunem Umschlag und einen soliden, voluminösen Rock, der (von Florence Trieves) zu einer gigantischen Hose umgeschneidert worden war. Oben herum trug sie dazu irgendeine von mehreren unbeschreiblich kleidsamen Jacken, grün, mitternachtsblau, ginsterbraun oder taubengrau, mit eng anliegenden Taillen, Samtkragen und Falten hinten, die von einem Knopf aus aufsprangen und in geraffte, den Rumpf verbergende Schöße übergingen. Diese Jacken waren nur vermeintlich eine Extravaganz, die sie ohne jedes schlechte Gewissen genoss, da es sich um die verschmähten Hälften konventioneller Reitkostüme handelte, die irgendwie ihrer Gefährten verlustig gegangen waren (wahrscheinlich weil sie einer Kundin mit ungewöhnlichen Proportionen nicht gepasst hatten) und spottbillig über die Kleinanzeigen in den Lokalzeitungen ergattert werden konnten, wo Emerald sie zwischen verschwommen formulierten Angeboten für Korsetts, Zahnprotesen und Wäscheseife aufspürte. Außerdem liebte sie es, dazu eine Melone aufzusetzen, die sie allerdings nicht immer finden konnte.
    Charlotte erhob sich nach ihrer dankbaren und leidenschaftlichen Verabschiedung von Edward erst wieder vom Bett, als sie die Pferde davonreiten hörte, und ging zum Frisiertisch, um sich die Haare zu richten.
    Den Mund voller Haarnadeln, musterte sie ihr Spiegelbild, ähnlich wie ein Kutscher vielleicht abschätzt, wie viel Leben noch in seiner alten Schindmähre steckt: Wie viele Tonnen würden ihre Beine noch tragen, wie viele Meilen das Herz noch durchhalten? Mit ihren achtundvierzig Jahren fing ihr kompliziertes Wesen allmählich an, sich in ihren Zügen zu zeigen.
    Charlotte hatte immer jenes faszinierende Etwas besessen – man mochte es Charme nennen oder die Fähigkeit, dem Zuschauer ein Spiegelbild seiner selbst vorzuhalten. Was immer es war, es hatte ihr nicht nur gute Dienste geleistet. Das Beste, was ihr je passiert war, war, mit siebenundzwanzig Horace Torrington zu begegnen und sich in ihn zu verlieben. Nachdem sie durch ihn Beständigkeit gelernt hatte und die Freude, sich an einem anderen Menschen zu begeistern, fand sie beides mit Leichtigkeit wieder, als sie Edward Swift traf.
    Sie frisierte sich fertig und dachte über den Vormittag nach: die Szenen beim Frühstück – Clovis’ Unhöflichkeit, Edwards unerschütterliche Freundlichkeit. Dabei fiel ihr auf, dass sie ihrem jüngsten Kind an diesem Tag noch gar nicht begegnet war, und stirnrunzelnd erkannte sie, dass sie Smudge auch am gestrigen Tag, an dem sie bekannt gegeben hatte, sie fühle sich nicht wohl, kaum zu Gesicht bekommen hatte. Mit einem Kopfschütteln, so als sei eine Fliege an ihr vorbeigeflogen, verließ sie das

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