Der ungeladene Gast
Zimmer. Charlotte besaß viele gute Eigenschaften, war jedoch rücksichtlos eigensüchtig, und sie wäre die Erste gewesen, die das freimütig eingestand.
Die Spülküche war frisch geschrubbt; Becken und Abtropfgestelle warten auf den Abwasch, der da kommen würde.
Eine in Musselin eingewickelte Lammkeule lag auf einer Marmorplatte. Gläser mit Senf, backsteingroße Butterstücke, eine Tüte mit Rosinen, Bündel von intensiv rosafarbenem, unten mit Erde verkrustetem Treibhausrhabarber, mit Schnur zusammengebunden, lagen, standen und lehnten neben einem panierten Schinken, dicken, gläsernen Milchflaschen, feucht glänzenden Würstchen … Ein großes, marmoriertes Heft, wie man es vielleicht als Rechnungsbuch für kleinere Ausgaben verwendet, lag vor Florence Trieves auf dem Tisch. Handbeschriebene lose Seiten quollen wie Bannsprüche daraus hervor und brachten das Gummiband, das alles zusammenhielt, fast zum Platzen.
Nachdem Florence alle nur erdenklichen Zutaten aus Speisekammer, Schränken und altem Haus zusammengesucht hatte, stand sie, umgeben von überquellenden Arbeitsflächen, in der Küche, band sich eine Schürze über das schwarze Kleid und verschaffte sich mit einem entschlossenen Ausdruck auf dem Gesicht einen Überblick über den potenziellen Missklang möglicher Gerichte, als wollte sie deren Zutaten zur Unterwerfung zwingen, bevor sie begann, sie harmonisch aufeinanderabzustimmen.
Charlotte, in der Küche angelangt, blieb beim Anblick dieser Überfülle, die ihr schier entgegenquoll, wie angewurzelt stehen.
»Ich bin sicher, es war unbedingt nötig, sämtliche Schränke komplett leer zu räumen, Mrs Trieves?«, sagte sie säuerlich zu Florence.
»Auf die Art weiß ich wenigstens, wo ich stehe«, antwortete Florence gleichermaßen bissig.
Eine Fünfpfundtüte Zucker, ein gutes Stück heruntergerollt, stand auf der Kante der Anrichte, eine hölzerne Schaufel steckte einladend in der kristallinen Landschaft. Charlotte konnte nicht widerstehen, die Schaufel noch ein wenig tiefer in den Zucker zu stoßen, nur um zu fühlen, wie die kleinen Körnchen trocken nachgaben.
»Ist alles bis zum Montag durchgeplant?«
»Ja, sicher. Von Emerald und mir.«
»Ich beneide Sie darum, das Essen kochen zu können – statt mit den Gästen reden zu müssen.«
»Ein Telegramm ist gekommen.«
»Ach ja?«
Florence Trieves zog das geöffnete Telegramm aus ihrer Schürzentasche und reichte es Charlotte.
»Gibt es in diesem Haus denn überhaupt keine Privatsphäre mehr?«, murmelte Charlotte vage.
»Das wissen Sie doch.«
Charlotte überflog das Telegramm, während Florence jeden der fünf Knöpfe an ihren schwarzen Manschetten aufknöpfte und die Ärmel bis zu den knochigen Ellbogen hochkrempelte. »Myrtle wird gleich da sein, sobald sie mit den Schlafzimmern fertig ist«, sagte sie. »Und natürlich musste sich Pearl Meadows ausgerechnet den heutigen Tag aussuchen, um krank zu werden …«
Pearl Meadows war das Hausmädchen, das nur stundenweise aushalf und just an diesem Morgen mit der Begründung, sich nicht wohlzufühlen, einen hastigen und hochgradig ungelegenen Rückzug aus Sterne angetreten hatte.
»Oh verflixt! So eine Hinterlist!«, rief Charlotte, und Florence hob fragend den Kopf. »Camilla Sutton hat angeblich die Grippe – ich wäre sehr überrascht, wenn das auch nur annähernd der Wahrheit entspräche, der alten Schabracke ist alles zuzutrauen – und schickt Patience stattdessen mit ihrem Bruder Ernest, der der größte Langweiler aller Zeiten ist.«
»Camilla Sutton? Sollte ich sie kennen?«
Gereizt antwortete Charlotte: »Natürlich sollten Sie sie kennen, wie Sie sehr gut wissen. Die Suttons waren sehr oft hier, als Horace noch – noch am Leben war.«
»Aha.«
»Grünauge, Florence – und ich mag sie. Aber vielleicht mag sie mich nicht mehr.«
»Wie auch immer. Jedenfalls kann Edmund sich mit Emerald und Clovis unterhalten, und Sie wären frei …«
»Er heißt Ernest, nicht Edmund. Und Emerald und Clovis werden sich gewiss nicht mit ihm unterhalten wollen . Patience ist ja schon wie ein langer Marsch über ein matschiges Stoppelfeld, aber Ernest ist das absolute Grauen.«
»Ich glaube, ich erinnere mich vage.«
»Als Kind war er ein wieseliger kleiner Streberling – hat ständig irgendwas mit Netzen gefangen und es angestarrt. Und Emerald dazu ermutigt, sich mit unangemessenen Dingen zu beschäftigen. Jetzt hat sie anscheinend irgendwas in Cambridge belegt, und er studiert
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