Der ungeladene Gast
würde lieber nicht näher darauf eingehen, Mutter.«
»Näher darauf eingehen? Worauf? Ihr jungen Leute habt eine bemerkenswerte Weise, Dinge auszudrücken. Hat dein Zusammentreffen mit John Buchanan etwas ergeben, worauf wir näher eingehen müssten?«
»Ach, Mutter!« Emerald hörte auf zu essen. »Was möchtest du denn wissen?«
»In aller Kürze?«
»In allerkürzester Kürze.«
»Ob er dir einen Antrag gemacht hat.«
»Einen Antrag?« Dies von Clovis, der sich um ein Haar verschluckt hätte.
»Clovis, mein Lieber, kein Grund, sich unflätig zu benehmen.«
»Herrg…«
»Oder auszudrücken. Emerald?«
»Mach dich nicht lächerlich, Mutter. Er hat über das rein Nachbarschaftliche hinaus keinerlei Interesse an mir.«
»Ich sehe doch, wie er dich ansieht«, sagte Charlotte mit dem Scharfblick der Expertin. »Und Benzin ist teuer. Wenn ich dir also widersprechen dürfte …«
»Ich hätte auch widersprochen«, kam es spöttisch von Clovis. »Bis die fragliche Person Emerald einen unmissverständlichen Stüber auf die metaphorische Nase versetzte, weil sie sich angemaßt hatte anzunehmen, sein Geschenk sei eine Liebesgabe.«
»Clovis!«, stöhnte Emerald.
»Ich bitte um eine Erklärung«, befahl ihre Mutter.
Emerald seufzte. »John hat mir ein Geschenk überreicht, worauf ich sagte, ich sei nicht – nun ja, er dürfe nicht annehmen – ach, du weißt schon. Woraufhin es furchtbar peinlich wurde, denn er bekundete klipp und klar, er sei mitnichten an einer Romanze interessiert. Ich stand da wie eine Vollidiotin, er sah aus wie der nette Bursche, der er zweifellos ist, und jetzt würde ich die ganze Angelegenheit lieber vergessen, wenn es euch nichts ausmacht.«
»Schön gesagt«, sagte Clovis. »Gute alte Em.«
Emerald versetzte ihm einen geharnischten Tritt, der allerdings keine größere Wirkung zeitigte, da sie keine Schuhe anhatte. Unbeeindruckt warf Clovis Lucy und Nell, die auf seinen Füßen lagen und ihm die Finger leckten, ein Stück Pastetenkruste zu, und von da an herrschte eine ausgedehnte Stille, in der sie weiteraßen und jeweils ihren eigenen Gedanken nachhingen.
Charlotte brach das Schweigen, indem sie ihren Stuhl abrupt zurückstieß und mit rauer Stimme sagte: »Ich soll also jeden Gedanken an eine Verbindung zwischen dir und John Buchanan aufgeben, ja?«
Emerald und Clovis sahen sie mit großen Augen an.
»Ich fürchte, das wirst du wohl müssen«, sagte Clovis, und Emerald fügte hinzu: »Ich wusste gar nicht, dass du dich mit derartigen Gedanken getragen hast.«
»Habe ich aber. Doch jetzt werde ich damit aufhören.« Und sie verließ das Zimmer, ohne ihr Besteck korrekt abgelegt zu haben.
Emerald, die allzeit liebende, allzeit pflichtgetreue Tochter, folgte ihr auf dem Fuß. Clovis, der gleichermaßen liebende, allerdings weniger pflichtgetreue Sohn, ließ sich den Rest der Pastete schmecken.
Am Fuß der Treppe blieb Charlotte stehen und sackte in sich zusammen. Emerald, die inzwischen bei ihr angelangt war, wusste nicht, was sie tun sollte.
»O Gott«, sagte Charlotte.
»Mutter, bitte …«
Charlotte sah sich gehetzt in der erhabenen Halle von Sterne um.
»Es ist ein großer Fehler, je zu glauben, dass man ein Zuhause hat«, sagte sie mit gebrochener Stimme und ließ sich auf die unterste Stufe der Treppe sinken.
Emerald fühlte sich absolut hilflos. »Vielleicht kommt dein Mann ja mit guten Nachrichten zurück.«
»Ich kann es dir genauso gut gleich sagen: Die Sache ist so gut wie aussichtslos.«
»Nein!«, rief Emerald entsetzt. Sooft sie wegen Sterne auch schon geweint hatte, konnte sie in ihrem kindlichen Herzen doch nicht wirklich glauben, dass sie vielleicht tatsächlich irgendwo anders würde leben müssen. Sie hatte sich sogar ihren Ehemann – wer immer er auch sein würde – in Sterne vorgestellt und nie darüber nachgedacht, dass er andere Pläne haben könnte. Sie setzte sich vor ihre Mutter auf den steinernen Boden und sah zu ihr hoch.
»Wir hoffen gegen jede Hoffnung«, fuhr Charlotte fort, »aber wer verleiht heute schon noch Geld gegen Ackerland? Dazu noch, wenn es viel zu abgelegen ist, als dass man es als Bauland nutzen könnte?«
»Ich weiß«, sagte Emerald. »Sterne ist zu weit von allem entfernt und für niemanden von Nutzen.«
»Alle ziehen vom Land weg. Die Cottages stehen leer. Trotzdem versucht Edward just in diesem Augenblick, sich Geld von einem Mann zu leihen, einem Industriellen, der seine Arbeiter geradezu schändlich behandelt.
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