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Der ungeladene Gast

Der ungeladene Gast

Titel: Der ungeladene Gast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Jones
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Dutzend aufgeschlagene Eier – leuchtende Dotter, umschmeichelt von glasigem Eiweiß. Zwei bleichsüchtige, frisch geschlachtete Hühnchen lagen zerteilt auf einem Brett. Der Rhabarber war geputzt, geschnitten und zu drei leuchtend rosa Bergen aufgeschichtet worden.
    »Ich wollte nur wissen, ob vielleicht etwas Suppe da ist«, stieß Emerald nervös hervor, während das spitze Gesicht von Florence und das (in der Regel) freundliche runde von Myrtle sie in offener, empörter Verwunderung ansahen.
    »Suppe ?«, rief Florence Trieves in einem Ton, als hätte Emerald nach Kanincheneiern verlangt.
    Von Myrtle kam nur ein Geräusch, das sich in etwa wie »Grmpf« anhörte.
    Emerald dachte daran, wie sie selbst, Clovis und ihre Mutter Kaninchenpastete und Kartoffeln gegessen und sich dabei gestritten hatten. Nun war Charlotte in ihrem Zimmer, mit zwar verquollenen Augen, aber einem immerhin gut gefüllten Magen, und Clovis saß wahrscheinlich wieder vor dem Kamin und vertrieb sich die Zeit mit rührseligen Selbstbetrachtungen, während Smudge ganz allein oben lag, ohne dass sich jemand um sie kümmerte, hungrig und so weiß wie das Laken, mit dem sie zugedeckt war.
    »Ja, nur ein bisschen Suppe oder etwas Ähnliches«, sagte sie. »Für Smudge. Etwas Brühe würde auch reichen.«
    »Der Ochsenschwanz, Mrs Trieves. Wie wäre es mit der Brühe vom Ochsenschwanz?«, schlug Myrtle mit aller gebotenen Vorsicht vor (Florence Trieves hatte sie einmal geohrfeigt, und keine noch so große Freundlichkeit, die sie Myrtle gegenüber seitdem an den Tag legte, konnte die Erinnerung daran auslöschen).
    Tatsächlich war am Vormittag ein Ochsenschwanz der Gelatine wegen ausgekocht worden, und ganz am Anfang des Prozesses hatten sie einen Teil der Brühe abgeschöpft. Emerald erhielt die Erlaubnis, etwas davon, angereichert mit ein wenig gekochtem Gemüse, das in den perligen Tiefen schwamm, zusammen mit einem Stück Weißbrot zu Smudge zu bringen.
    In ihre Kissen gelehnt, nahm Smudge die Gabe huldvoll entgegen.
    »Ich würde ja gern bleiben und noch ein bisschen mit dir plaudern, Smudgy, aber der Zug kommt um vier, Pearl Meadows hat Fahnenflucht begangen, und das Haus ist nicht annähernd fertig, um die Suttons zu empfangen. Ich muss unbedingt die Truppen sammeln.«
    »Ist gut«, sagte Smudge lammfromm. »Aber erwarte nicht, dass ich die Karotten esse.« Und Emerald ließ sie aufs Neue allein.
    Die beiden Stunden zwischen eins und drei vergingen in hektischer Aktivität. Alle Haushaltsmitglieder – Charlotte, Emerald, Clovis (der erst ausgeschimpft werden musste), Florence Trieves und Myrtle – hasteten von Zimmer zu Zimmer, klopften Kissen und Polster auf, rückten Tische und Teppiche zurecht, staubten Treppengeländer und alle nur erdenklichen gläsernen und silbernen Ornamente ab, die im Haus herumhingen und -standen. In einem Kissen wurde eine Mäusefamilie entdeckt – was für ein perfektes Zuhause für sie! Doch es gab nur sehr wenig Spinnen. Sterne war kein schmutziges oder ungepflegtes Haus, aber Staubwedel sind nun einmal besser dazu geeignet, Spinnen zu vertreiben, als kleine Nagetiere, und das Aufklopfen von Kissen und Polstern ist für völlig überlastete Dienstboten ein Luxus. Angesichts all der vielen Mäuse, die Lloyd fing, und der zahlreichen anderen, die er durch seine Pfoten schlüpfen ließ, bedauerte Florence oft, dass man die kleinen Biester nicht einfach aufspießen und rösten und sich an ihren knusprigen, korngemästeten Schenkeln gütlich tun konnte.
    »Sie ernähren sich besser als wir«, sagte sie.
    Aber in der Küche lag die riesige, fleischige Zunge des Ochsen in all ihrer Pracht auf einer großen geblümten Servierplatte. Sie war bereits gehäutet und zu einem großen Teil von Florences disziplinierender Hand in rasierklingendünne, fast durchsichtige Scheiben geschnitten worden, die sich wie Blütenblätter wellten – rot, salzig, zart, feucht. Auf einem Bett aus krauser Petersilie wartete die Zunge ungeduldig auf ihren abendlichen Auftritt im Speisezimmer.
    Florence und Myrtle hatten lange und schwer geschuftet, mit fantastischen und fantasievollen Ergebnissen. Abgesehen von dem mit smaragdgrünen Rosen verzierten und mit glänzender Glasur überzogenen Geburtstagskuchen auf seiner hohen Kristallplatte gab es Schüsseln mit Sahne; es gab Gewürzgurken, diverse Gratins, Schweinefleisch, als Farce oder gehackt, gewürzt mit Muskatblüten, Kapern und Thymian. Speckrinden umhüllten eher magere

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