Der ungeladene Gast
was zu tun ist.«
»In Ordnung, Mutter, geh nur. Aber mach dir bitte keine Sorgen. Ich werde die Eisenbahn anrufen, diese Leute werden bald weg sein, und wir werden das erlesenste Abendessen aller Zeiten haben. Und vergiss nicht, John Buchanan wird ebenfalls kommen!«
Sie hätte sich selbst einen Tritt versetzen können, weil sie die Hoffnungen ihrer Mutter in Hinsicht auf John Buchanan schürte, aber Charlotte bedachte sie mit ihrem liebreizendsten Lächeln.
»Richtig«, sagte sie und verschwand getröstet in ihrem Zimmer. »Lass das Silber nicht aus den Augen«, lautete ihre letzte, durch die geschlossene Tür gedämpfte Anweisung.
Emerald hastete nach unten, um sich um die Suttons zu kümmern. Aus den Augen, aus dem Sinn, tröstete sie sich im Hinblick auf ihre Mutter, aber sie hätte genauso gut die armen, unter Schock stehenden Passagiere meinen können, denn in ihrer Hast, ihren Pflichten nachzukommen, hatte sie sie, genau wie Myrtle, völlig vergessen. Auch der längst überfällige Anruf bei der Eisenbahn war in Vergessenheit geraten.
Ebenso dachte sie mit keinem Gedanken daran, dass das Frühstückszimmer nicht sehr groß war oder das Feuer vielleicht niedergebrannt sein konnte.
Während Charlotte in ihrem Zimmer ihren Träumen von Etikette nachhing, sorgte Emerald unerschütterlich dafür, dass diese Etikette gewahrt wurde, und leistete Ernest und Patience in der Bibliothek Gesellschaft, ungeachtet aller ungewöhnlichen Ereignisse, ungeachtet der unerwarteten Passagiere und Clovis’ schlechter Laune. Denn nachdem er sich nützlich gemacht und Robert und Stanley zurückgeholt hatte, glaubte er, nun jedes Recht zu haben, sich in einer seiner schwarzen Stimmungen zu suhlen.
»Man kann nicht einmal sagen, ob es schon dunkel ist oder ob es nur am Wetter liegt«, sagte er, warf sich auf einen der Fenstersitze und schielte in den stürmischen Nachmittag hinaus.
Das Feuer, um das sich niemand gekümmert hatte, war in sich zusammengesunken. Ernest fütterte es mit Apfelholzscheiten und mühte sich mit dem Kohleneimer ab, während Emerald den Tee einschenkte (den Myrtle gebracht hatte, die, nachdem sie sich um das Feuer im Frühstückszimmer gekümmert hatte, eine neue Schürze nötig gehabt hätte, allerdings noch nicht dazu gekommen war, sie zu wechseln).
Smudge hatte es immer noch nicht fertiggebracht, sich von Patience loszureißen und sich endlich anzuziehen, sondern kniete hingerissen zu ihren Füßen und sah bewundernd zu ihr auf. Patience blickte in die Flammen, gab der Erschöpfung nach, die ihren zierlichen Körper vereinnahmte, und erlaubte sich, den Ausdruck eifriger Begeisterung, der ihr praktisch zur Gewohnheit geworden war, zumindest für einen Augenblick abzulegen.
»Ich muss sagen, ich bin sehr erleichtert, dass wir nicht bei einem Zugunglück gestorben sind«, sagte sie.
Emerald lächelte sie an. »Ich auch, Patience. Es hätte meine Party völlig ruiniert«, sagte sie und reichte ihr eine Tasse Tee.
»Danke. Ich wüsste gern, ob tatsächlich jemand gestorben ist«, fuhr Patience bedrückt fort, die zarte Stirn in Falten gelegt. Die Tasse klirrte gegen die Untertasse.
Vom Fenster war ein Grollen zu hören.
»Sagtest du etwas, Bruder?«, fragte Emerald und fixierte Clovis mit einem Blick, von dem sie hoffte, dass er eisig war.
Clovis schüttelte sich wie ein nasser Hund und setzte sich auf. »Ich habe mich nur gefragt«, sagte er zu Patience, »ob dir dieser Gedanke tatsächlich gerade erst jetzt gekommen ist? Ob jemand gestorben ist, meine ich.«
Patience und Emerald tauschten einen Blick. »Wir hatten schließlich noch nicht viel Gelegenheit, darüber zu reden«, sagte Patience und wandte betont die schmalen Schultern von ihm ab.
»Brrrr«, machte Clovis und schüttelte sich so dramatisch, dass alle zusammenzuckten.
»Ich würde meinen«, begann Ernest in gemessenem Ton, »dass der Eisenbahnbedienstete, als er von einem ›schrecklichen Unfall‹ sprach, durchaus meinte, dass es Tote gab. Oder zumindest Verletzte.«
»Ja«, sagte Patience. »Der Dienstmann sagte ›schrecklich‹. Da muss man sich wohl das Schlimmste vorstellen.«
Ohne auf Ernest einzugehen, fuhr Clovis damit fort, auf Patience herumzuhacken.
»Allerdings hat der Schaffner keine näheren Einzelheiten genannt, oder? Daher ist das alles reine Vermutung.«
Patience war ziemlich pikiert, aber nur für einen Augenblick. Da sie zwei Jahre älter war als Clovis, hatte sie entschieden, dass er für eine potenzielle
Weitere Kostenlose Bücher