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Der ungeladene Gast

Der ungeladene Gast

Titel: Der ungeladene Gast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Jones
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Bänken und Bugholzstühlen saßen, drängten sich um den Schreibtisch im Studierzimmer und die hastig frei geräumten Beistelltischchen und fielen über das ihnen vorgesetzte Essen her.
    »Es sind zu viele«, stöhnte Patience. »Es reicht nicht für alle.«
    Nachdem das Entree aufgebraucht war, wurde der nächste Gang in Angriff genommen. Florences Messer fand die schlüpfrigen Gelenke des Poulet à la Marengo, durchschnitt das zarte junge Fleisch der Kalbsrolle. Und immer noch waren sie nicht satt. Die Küche glich einem verlassenen Feldlazarett auf der Krim, nachdem die Schlacht sich verlagert hatte: überall Knochen, an denen noch Fleischfetzen hingen, nasse Lappen, fleckige, zerkratzte Schneidebretter und einfach fallen gelassene Utensilien, während sich die Horden über das Nächste hermachten – den Nachtisch.
    »Wartet. Mein Gott, wartet!« Florence wandte der Szene der Zerstörung den Rücken zu und schloss die Augen.
    »Lassen Sie mich das machen.« Ernest nahm ihr das Messer aus der Hand, während die anderen ringsum weiterarbeiteten.
    Emerald beobachtete, wie seine starken Hände die Spitze der Klinge zwischen die zarten Rhabarberscheiben auf der Vanilleschicht der Torte schoben, ohne sie zu zerstören; ihre eigenen Finger zitterten leicht, als sie zwei hauchdünne Teller für die halbmondförmigen Fruchtgeleeschnitze hinhielt, die er als Nächstes vom Löffel schabte. Einen Moment lang streckte Patience ihren schlanken Arm zwischen ihnen hindurch, ergriff einen Krug mit Sahne und huschte damit aus der Küche.
    »Hättest du etwas dagegen, wenn ich etwas sage?«, fragte er.
    »Das weiß ich erst, wenn du es gesagt hast«, antwortete sie und ging im Geist ein Sortiment wünschenswerter und weniger wünschenswerter Möglichkeiten durch.
    »Hast du die Wissenschaft wirklich aufgegeben?«
    »Die Wiss… Oh, du meinst mein Mikroskop? Ja, ich glaube schon.«
    Er tat einen winzigen Klecks Flammeri auf den Teller, gleich neben das Fruchtgelee.
    »Das hätte ich nie erwartet – nach allem, was ich von früher von dir weiß.«
    »Tatsächlich?«, fragte sie verwirrt.
    »Ja. Noch zwei, bitte.«
    Sie hielt ihm zwei weitere Teller hin.
    »Verdammt!«, rief Clovis hinter ihnen, als ein fettig-glitschiges Desaster auf den Fliesen landete.
    »Ich finde es wirklich sehr schade«, sagte Ernest. Ein weiteres Stück Rhabarbertorte fand ein neues Zuhause. Ein Klecks Fruchtgelee glitt von dem schnell wärmer werdenden Löffel. »Wo du doch so klug bist.«
    Emerald sah nicht auf. Aber seine Bemerkung erfüllte sie mit Stolz. Es war ein ungewohntes, aber angenehmes Gefühl.
    »Ich habe das Mikroskop während der Krankheit meines Vaters weggetan«, flüsterte sie fast, während eine ungewohnte Wärme das kalte Eis ihrer Zurückhaltung zum Schmelzen brachte.
    »Ah«, antwortete er ebenso leise. Sein Tortenheber glitt unter den krümeligen Teig, die darin enthaltene Butter ließ das Metall glänzen.
    »Großer Gott!«, ereiferte sich Florence, die aus dem Studierzimmer gehetzt kam, beim Anblick der zahllosen Desserts. »Sollen etwa alle so eine Auswahl bekommen?« Aber sie riss die Teller nichtsdestoweniger an sich. Ernest warf Emerald ein langsames, schüchternes Lächeln zu. Ich sehe verboten aus, dachte sie.
    Sie hatte mit keinem Gedanken daran gedacht, sich umzuziehen. Jetzt hing ihr schönes Kleid schlaff an ihr herab, voller Fettspritzer, rettungslos ruiniert. Der Saum war völlig verdreckt, weil er ständig über den schmutzigen Boden schleifte. Haarsträhnen hatten sich aus Myrtles kunstvoll aufgesteckter Frisur gelöst. Patience dagegen machte wundersamerweise immer noch einen allgemein frischen Eindruck, der sich erst bei näherer Betrachtung als Illusion herausstellte (ihre Spitzenmanschetten waren mit Bratensoße bekleckert). Sie und Clovis hatten ein eigenes Tempo und einen eigenen Rhythmus gefunden, die an einen Staffellauf erinnerten. Er flitzte durch den Korridor bis zur grünen Tür, sie weiter in die Zimmer, allerdings war das Holen der Teller aus der Küche schneller zu bewerkstelligen als das Verteilen, da die Passagiere unterschiedliche Wünsche und Bedürfnisse hatten (die einen wollten Fisch, die anderen Fleisch, oder nur Geflügel, andere hätten gern alles gehabt, nicht zu erwähnen die verschiedenen Geschmäcker, als es um Obst, Süßspeisen und Zuckerwerk ging). Clovis musste oft hinter Patience herlaufen und ihr beim Herumreichen der Teller und beim Beantworten von Fragen helfen. Dabei fiel ihm auf,

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